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Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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erklären? Mein Anliegen hat keinerlei juristische Relevanz   …»
    «Dann weiß ich nicht, warum Sie zu einem Advokaten kommen.»
    «Es ist die Besorgnis. Die Besorgnis meiner Schwester», schob sie schnell nach. «Sie hätte das Kind ja nie aus eigenen Stücken fortgegeben. Aber sie war nochsehr jung, und die Familie   … unser Vater meinte, es gäbe keine andere Möglichkeit, als das Kind zu einer Landamme zu geben. Mein   … unser Vater ist kürzlich verstorben.»
    «Und mit welchem Anliegen kommen Sie zu mir?»
    «Ich möchte, dass Sie das Kind ausfindig machen.»
    «Nach einundzwanzig Jahren?» Sören schürzte die Lippen. «Entschuldigen Sie die Nachfrage, aber aus welchem Grund?»
    «Die Ehe meiner Schwester ist kinderlos geblieben. Ihr Mann, der auf keinen Fall von dieser Sache erfahren darf, ist sehr krank. Er liegt im Sterben. Und es ist doch ihr Kind.»
    «Sie erwarten also von mir, dass ich ein Kind, das längst kein Kind mehr ist, suchen soll. Was haben Sie für Informationen über das Kind? Wenn ich mich der Sache annehmen soll, benötige ich zumindest einen Hinweis, wo ich mit der Suche beginnen muss. Einen Namen   …»
    Die Frau zog einige Papiere aus der Tasche. «Es ist nicht viel, was wir haben. Ich   … wir wissen ja nicht einmal, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Meine Schwester hat es nie zu Gesicht bekommen. Mein Vater hat sich um alles gekümmert. Er hat das Geheimnis um sein Enkelkind mit ins Grab genommen. Für ihn durfte es nie existieren. Aber er hat bezahlt.» Sie hielt Sören ein Stück Papier hin. «Die Empfangsquittung einer gewissen Inge Bartels über 100   Mark. Das muss die Landamme sein, die für das Kind gesorgt hat. Sie erhielt die Summe wohl jährlich.» Die Frau reichte Sören einen weiteren Zettel. «Letztmalig vor acht Jahren. Hier ist ein Arztbesuch aufgeführt, für den mein   … unser Vater extra bezahlt hat.»
    Sören studierte die Zettel. Die Signatur war unleserlich. «Das ist nicht gerade viel.»
    «Ich weiß, aber   …» Sie stockte und reichte Sören ein Couvert. «Ich werde Sie großzügig entlohnen. Dies ist ein Vorschuss für Ihre Mühen. Es soll Ihr Geld sein, unabhängig vom Erfolg. Wir wissen ja nicht einmal, ob das Kind noch am Leben ist. – Das Einzige, worauf ich bestehen muss, ist, dass niemand etwas davon erfahren darf. Bei Erfolg biete ich Ihnen zusätzlich die vierfache Summe.»
    Sören warf einen Blick in das Couvert. 400   Mark – das war sehr viel für einen Vorschuss. «Wenn ich die Person tatsächlich ausfindig machen sollte, werden Sie die Sache jedoch kaum länger geheim halten können», gab er zu bedenken. Einen solchen Fall hatte man ihm noch nie angeboten, und die Aufgabe reizte ihn. Zudem schien der Aufwand überschaubar. Der Name der Amme, das Alter des Kindes. Es gab nicht viele Möglichkeiten, an Informationen und Auskünfte zu gelangen. Entweder er wurde schnell fündig, oder die Sache war aussichtslos. «Ich mache meine Zusage davon abhängig, ob die Person, so ich sie denn finde, ihre wirkliche Herkunft erfahren wird.» Er schloss das Couvert und legte es vor sich auf den Tisch.
    Die Frau nickte zaghaft. «Nach dem zu erwartenden Ableben meines   … Schwagers.»
    «Mit erbrechtlicher Berücksichtigung?»
    Sie nickte erneut.
    Sören nahm das Couvert an sich. «Wie kann ich Sie erreichen?»
    «Meinen Namen und meine Anschrift finden Sie auf einer Karte im Couvert. – Ich bitte nochmals um absolute Diskretion.»
    Nachdem Sören die Frau zur Tür geleitet hatte, öffnete er den Umschlag. Er warf einen Blick auf die Karte und pfiff leise. Jetzt wusste er auch, woher er die Frau kannte. Verständlich, dass sie auf Diskretion bestand, schließlich stammte sie aus einer der einflussreichsten Familien der Stadt.
     
    Die junge Frau, die im Vorzimmer gewartet hatte, blickte sich neugierig um, als sie Sörens Arbeitszimmer betrat. Die Umgebung schien ihr nicht ganz geheuer zu sein, und erst nachdem Sören sie zweimal aufgefordert hatte, sich zu setzen, nahm sie ihm gegenüber Platz. Sie mochte höchstens zwanzig sein, aber ihr Blick verriet, dass sie bereits mehr vom Leben gesehen hatte, als es in diesem Alter üblich war. Ihre Jacke war an mehreren Stellen geflickt, dennoch sah man, dass sie sich Mühe gegeben hatte, sich dem Anlass entsprechend zu kleiden. Die roten Haare hatte sie zu zwei Zöpfen geflochten, die ihr bis auf die Schultern herabhingen. Die dunklen Ränder um die Augen zeugten von wenig Schlaf und viel

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