Der blaue Vogel kehrt zurück
also mit Walter über sein Vorhaben unterhalten, ins Ausland zu gehen.«
»Wollen die beiden denn auswandern?«
»Nein, nicht die beiden, er! Nur er. Das meine ich ja gerade. Er kommt noch davon. Lässt sich nicht von so einer ewig jammernden Frau gängeln. Wenn ich mir mein Leben so anschaue und mich jeden Tag hier ins Krankenhaus zuckeln sehe, denke ich: Hätte ich es doch bloß getan. Wäre ich doch bloß ausgebrochen. So sind wir Männer, das wissen Sie genauso gut wie ich. Wir brauchen unseren Freiraum, wir müssen uns ausleben können. Für mich ist es bei diesem einen Seitensprung mit Eva geblieben, aber …«
»Ich weiß nicht, ob …«
»Ach, kommen Sie, Jacobson. Ich weiß doch, dass Sie genauso denken. Wieso hätten Sie dem jungen Mann denn sonst geholfen?«
»Wie soll ich das denn gemacht haben?«
»Indem Sie ihm die Geschichten von Brasilien erzählt haben, natürlich! Was glauben Sie denn, wohin er geht?«
»Aber ich habe ihm doch gar nichts erzählt.«
»Da irren Sie sich aber ganz gewaltig. Das mag zwar unanständig gewesen sein von mir, aber ich habe genau gehört, wie Sie mit Ihren ganzen Besitztümern dort geprahlt haben und damit, wie leicht man es in Brasilien zu einem Vermögen bringen kann.«
»Ich mag mit ihm gesprochen haben, Meneer Kaptein, aber ich glaube, dass ich ab und zu ein bisschen verwirrt bin. In den ersten Jahren dort habe ich gut verdient, das stimmt, aber nachdem ich meinen größten Diamanten gefunden hatte, war es damit vorbei. Mit unserem Anfangskapital sind wir lange über die Runden gekommen, aber …«
»Natürlich waren Sie verwirrt. Außerdem bin ich alt genug, um solche Geschichten zu durchschauen. Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen, dass ich selbst auch dazu neige, die Dinge schönzureden, aber darum geht es jetzt nicht. Es geht darum, dass er sich was vorgenommen hat. Er folgt seinem Herzen, lässt es sich gut gehen! Ich hatte natürlich nicht so tolle Tipps für ihn wie Sie, aber ich konnte ihm immerhin von meinen Erfahrungen mit Eva erzählen. Wie leicht die brasilianischen Mädchen es einem machen. Das Land, wo Milch und Honig fließen, Meneer. Schöne Frauen, gutes Wetter, und ein gesunder holländischer Junge kann dort genug Geld verdienen. Da können Sie doch mitreden. Wie alt waren Sie, als Sie weggegangen sind?«
»Anfang zwanzig.«
»Sehen Sie. Und, haben Sie es jemals bedauert?«
»Nein, aber …«
»Wenn Sie hiergeblieben wären, hätten Sie keine Diamanten gefunden. Hätten sich keine schöne Brasilianerin geangelt, kein Haus gebaut, kein …«
»Habe ich Ihnen das alles erzählt?«
»Nicht mir, aber dem jungen Mann, Walter. Ja sicher. Und ich, na ja, wie gesagt, ich habe ein bisschen mitgehört.«
»Das ist alles nichts wert, Meneer Kaptein. Das hier« – ich zeige auf meinen Kopf –, »ist der einzige Ort, an den man sich ruhig und ungestört zurückziehen kann. Was andere Leute finden oder tun, ihre ganzen Meinungen und Taten, haben dort nichts zu suchen. Ich möchte mir kein Bild von ihnen machen, kein Urteil über sie fällen. Ich will davon verschont bleiben.«
»Das kann ich überhaupt nicht verstehen, Jacobson. Nicht denken, sondern tun, lautet meine Devise. Solche komplizierten Dinge denken sich die Leute meiner Meinung nach erst aus, wenn ihnen nichts anderes mehr übrig bleibt. Es tut mir furchtbarleid, dass ich das so sagen muss. Und es würde Ihnen gut zu Gesicht stehen, wenn Sie zugeben könnten, dass Sie unseren jungen Freund vielleicht ein bisschen beneiden, wie ich auch. Um all die schönen Dinge, die er noch vor sich hat. Seien Sie doch mal ehrlich!«
»Ich hadere nicht mit meinem Schicksal, Meneer Kaptein. Ich fürchte mich nicht vor dem, was kommt.«
Da bin ich mir zwar nicht so sicher, aber mit meiner Entschiedenheit bringe ich ihn immerhin zum Schweigen, wie ich es mir erhofft hatte. Kaptein steht auf. An seinem Hemd fehlt ein Knopf. Sein schmuddeliges Unterhemd lugt hervor. Auf seiner Wange stehen ein paar vergessene graue Stoppeln. Dreh dich um, geh weg. Ich kann dich nicht länger ertragen.
»Wie auch immer«, sagt er.
Weiter nichts.
49
Im Rio de São Francisco und in all den anderen Flüssen, zu denen ich mit Naki fuhr, fanden wir nicht viel mehr als mit Lehm vermischten, diamanthaltigen Kies unter dem Sand und zwischen den Felsblöcken. Naki störte sich nicht daran. Es änderte nichts an seiner Laune, nichts an seinem Verhalten. Auch in den Jahren, in denen wir keinen einzigen Stein fanden, tauchte er am
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