Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der blaue Vogel kehrt zurück

Der blaue Vogel kehrt zurück

Titel: Der blaue Vogel kehrt zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arjan Visser
Vom Netzwerk:
und dieses Wissen genießt man. Eigentlich braucht man den Schlag gar nicht mehr auszuführen – dieser Moment allein genügt schon.«
    Zufrieden betrachte ich die beiden Männer. Sonnenlicht fällt schräg durch die hohen Fenster der Turnhalle. Sie sitzen nebeneinander auf der langen Holzbank.
    Der Arzt versucht, den Trainer zu überzeugen, dass Boxen ein gefährlicher Sport sei. Er zieht Muhammad Ali als lebendes Beispiel dafür heran. Ich eile Kosmann zu Hilfe. »Den kann er nicht kennen, Steenstra«, rufe ich, »Kosmann wurde 1942 ermordet.«
    »Ach, das tut mir leid«, sagt Steenstra, und ich sorge dafür, dass es ihm mit diesen Worten ernst ist.
    Sogar in meiner Fantasie trete ich für meinen alten Trainer ein. Kosmann zuckt die Achseln und versichert Steenstra, dass er ein wunderbares Leben gehabt habe und dass Mitleid nicht nötig sei. Sie sehen mich ungeduldig an, und mir wird klar, dass sie keinen Wert auf meine Einmischung legen. Ich lasse sie machen.
    Sie unterhalten sich, als wären sie seit Jahren befreundet, und ich bin froh, dass ich sie mir zusammen ausgedacht habe. Ab und zu nicke ich zustimmend, vor allem, wenn Kosmann spricht. Wie gut seine Worte sich mir eingeprägt haben! Und diese Stimme: dunkel und bestimmt, ja, genau so klang er. Als Kosmann auf Joe Lewis zu sprechen kommt, öffne ich den Mund, will mich am Gespräch beteiligen, doch es kommt kein Laut heraus.

48
    Kaptein sagt, er wolle mich etwas fragen, aber meine Antworten scheinen völlig unwichtig zu sein. Er redet und redet in einer Tour, bis er endlich nach dem Satz: »Ich sage ja bloß, wie es ist«, mit einem erwartungsvollen Blick verstummt.
    »Vor Kurzem habe ich geträumt«, sage ich, »dass ich wüsste, was die richtigen Fragen sind.«
    »Wie meinen Sie das? Was für Fragen?«
    »Worum sich alles dreht, was wirklich wichtig ist. Plötzlich wusste ich, wie ich das herausfinden kann. Es war, als würde ich das Konzept der Ewigkeit erfassen.«
    »Aha, der Sinn des Lebens! Und, was spielt im Leben wirklich eine Rolle?«
    »Das ist nicht die richtige Frage! Es ging darüber hinaus, da gab es Fragen hinter anderen Fragen, Gedanken hinter anderen Gedanken. Es überstieg die menschliche Begierde, überstieg auch die Vernunft. Es war größer als das hier, es war allumfassend, gleichzeitig aber auch grenzenlos. Verstehen Sie?«
    »Nein.«
    »Ich wünschte, ich könnte es besser erklären … Mir entgleitet es selbst auch wieder. Ich hatte das Gefühl, mich im Weltall zu befinden, aber selbst das Wort ›Weltall‹ ist zu beschränkt. Alle Worte sind unzureichend, Buchstaben haben keine Bedeutung. Ich habe mich als Schöpfer des Schöpfers gefühlt.«
    »Na, na, bester Meneer Jacobson, jetzt kann ich Ihnen wirklich nicht mehr folgen. Aber ich bin auch bloß ein einfacher Bauernsohn. Früher war ich gläubig, ich habe sogar einmal gedacht, Gott würde mir Aufträge geben – ja, wirklich, da könnte ich Ihnen Geschichten erzählen –, aber heute … Ach, das war doch alles nur Blödsinn. Ich hätte mehr an mich denken sollen. Das ist mein größtes Problem: dass ich mich immer nur fürs Glück der anderen zuständig gefühlt habe. Ich habe mich angepasst und zurückgenommen, andere vorgelassen und Chancen verschenkt. Im Nachhinein tut es mir leid, dass ich mich so hintangestellt habe. Was habe ich nun davon, von diesem ganzen Anstand, der ganzen Vorsicht?«
    Kaptein sieht sich um.
    »Hier landen wir am Ende alle. In einem Bett, wartend auf den Tod. Wenn Sie mich jetzt fragen, was wirklich eine Rolle spielt, sage ich, dass man versuchen muss, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Sie sollen es ruhig wissen: Ich habe kein schlechtes Gewissen, dass ich kurz vor Torschluss noch mal mit beiden Händen zugepackt habe.«
    Ich habe keine Ahnung, wovon er spricht, und sehe auch mit Bedauern, dass meine Gedanken ihren inneren Zusammenhalt verlieren. Ich hoffe, ihn mit einem herzhaften Gähnen vertreiben zu können, doch Kaptein rührt sich nicht vom Fleck.
    »Eva, diese Frau. Von der hatte ich Ihnen doch erzählt?«
    An eine Eva kann ich mich nicht erinnern, doch an sein Augenzwinkern leider nur allzu gut.
    » Sehr willig. Wenn ich ein paar Jahre jünger wäre, wüsste ich, was ich zu tun hätte. Nämlich dasselbe wie der Kerl, der ein paar Mal hier war, wie heißt er noch gleich? Der erst noch zusammen mit dem Mädchen kam.«
    »Mit Sonja?«
    »Walter! Walter und Sonja. Ja, Meneer, meine Ohren funktionieren noch bestens. Letztens habe ich mich

Weitere Kostenlose Bücher