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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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würden wir darin ein Wunder sehen, weil unsere ganze Erfahrung und unser ganzes Wissen uns sagen, daß Marmor sich nicht so verhält. Ich habe gerade die Worte ausgestoßen: »Möge mich in dieser Minute der Blitz treffen.« Wenn mich wirklich in derselben Minute ein Blitz treffen würde, so würde man darin ein Wunder sehen. Aber tatsächlich würde die Wissenschaft keines dieser beiden Vorkommnisse als ganz und gar unmöglich einstufen. Sie würden einfach als sehr unwahrscheinlich eingeschätzt, die winkende Statue als viel unwahrscheinlicher als der Blitzschlag. Der Blitz erschlägt Menschen. Jeder von uns kann vom Blitz getroffen werden, aber in jeder beliebigen Minute ist die Wahrscheinlichkeit ganz schön niedrig (obgleich im Guinness-Buch der Rekorde ein köstliches Bild eines Mannes aus Virginia zu finden ist, der den Spitznamen »menschlicher Blitzableiter« trägt und sich, furchtsame Bestürzung auf dem Gesicht, im Krankenhaus gerade von seinem siebten Blitzschlag erholt). Das einzige Wunderbare an meiner hypothetischen Geschichte ist die Koinzidenz von meinem Getroffenwerden von einem Blitz und der verbalen Heraufbeschwörung dieser Katastrophe.
    Koinzidenz bedeutet multiplizierte Unwahrscheinlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit, daß ich in irgendeiner Minute meines Lebens von einem Blitz getroffen werde, beträgt, vorsichtig geschätzt, vielleicht 1 zu 10 Millionen. Die Wahrscheinlichkeit, daß ich einen Blitzschlag in irgendeiner besonderen Minute heraufbeschwöre, ist ebenfalls sehr niedrig. Ich habe es gerade in den 23 652 000 Minuten meines bisherigen Lebens zum ersten Mal getan, und ich werde es wohl kaum noch einmal tun; deswegen geben wir diese Wahrscheinlichkeit mit 1 in 25 Millionen an. Um die kombinierte Wahrscheinlichkeit zu errechnen, daß die Koinzidenz in irgendeiner bestimmten Minute stattfindet, multiplizieren wir die zwei getrennten Wahrscheinlichkeiten. Meiner Überschlagsrechnung entsprechend kommen wir dabei auf etwa 1 zu 250 Billionen. Eine Koinzidenz dieser Größenordnung würde ich ein Wunder nennen und in Zukunft meine Zunge hüten. Doch obwohl die Koinzidenz ungeheuer unwahrscheinlich ist, können wir sie immer noch berechnen.
    Ihre Wahrscheinlichkeit ist nicht gleich Null.
    Befassen wir uns mit der Marmorstatue: Die Moleküle in massivem Marmor drängeln ununterbrochen in zufälligen Richtungen gegeneinander. Die Bewegungen der verschiedenen Moleküle kompensieren einander, so daß die ganze Hand der Statue stillsteht. Wenn sich jedoch, durch pure Koinzidenz, alle Moleküle zufällig im selben Moment in dieselbe Richtung bewegten, so würde die Hand sich bewegen. Wenn dann alle zur gleichen Zeit kehrtmachten, würde die Hand sich zurückbewegen. So ist es möglich, daß eine Marmorstatue uns winkt. Es könnte geschehen. Die Chancen gegen eine solche Koinzidenz sind unvorstellbar, aber nicht unberechenbar groß. Ein Physikerkollege hat sie freundlicherweise für mich ausgerechnet. Die Zahl ist so groß, daß das gesamte Alter des Universums bisher zu kurz ist, um all die Nullen aufzuschreiben! Es ist theoretisch möglich, daß eine Kuh über den Mond springt, die Unwahrscheinlichkeit dafür ist etwa genauso groß. Der Schluß aus diesem Teil unserer Erörterung ist, daß wir uns einen Weg in Regionen mirakulöser Unwahrscheinlichkeiten hinein rechnen können, die viel größer sind, als wir uns als glaubhaft vorzustellen in der Lage sind.
    Sehen wir uns die Frage, was wir für glaubhaft halten, einmal näher an. Was wir uns als plausibel vorstellen können, ist ein schmales Band inmitten eines viel breiteren Spektrums des tatsächlich Möglichen. Manchmal ist es schmaler als das tatsächlich Vorhandene, was sich anhand des Lichtes gut demonstrieren läßt. Unsere Augen sind so gebaut, daß sie auf ein schmales Band elektromagnetischer Schwingungen ansprechen (die wir Licht nennen), irgendwo in der Mitte des Spektrums, das von langen Radiowellen an einem Ende bis zu kurzen Röntgenstrahlen am anderen reicht. Wir können die Strahlen außerhalb des schmalen Lichtbandes nicht sehen, aber wir können Berechnungen über sie anstellen und Instrumente bauen, um sie zu entdecken. Gleichermaßen wissen wir, daß sich die Skalen von Größe und Zeit in beiden Richtungen weit über den Bereich des Vorstellbaren ausdehnen. Unser Verstand wird nicht fertig mit den großen Entfernungen der Astronomie oder mit den geringen Entfernungen der Atomphysik, aber wir können diese Entfernungen in

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