Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
Wettrüsten beteiligt, bei dem der Erfolg auf einer Seite von der anderen Seite als Versagen empfunden wird. Und es ist ein symmetrisches Wettrüsten, weil das Wesen von Erfolg und Versagen auf beiden Seiten dasselbe ist: erreichen von Sonnenlicht bzw. überschattet zu werden.
Das Wettrüsten zwischen Geparden und Gazellen jedoch ist asymmetrisch. Es ist ein echtes Wettrüsten, bei dem Erfolg auf der einen Seite zwar von der anderen als Versagen empfunden wird, aber das Wesen von Erfolg und Versagen auf beiden Seiten ist sehr unterschiedlich. Beide Seiten »versuchen« sehr verschiedene Dinge zu tun. Geparde versuchen Gazellen zu fressen. Gazellen versuchen keineswegs, Geparde zu fressen, sie versuchen zu vermeiden, daß sie von Geparden gefressen werden. Vom Standpunkt der Evolutionstheorie ist asymmetrisches Wettrüsten interessanter, da es wahrscheinlicher ist, daß es hochgradig komplexe Waffensysteme hervorbringt. Warum das so ist, zeigt uns ein Beispiel aus der menschlichen Waffentechnik.
Ich könnte die USA und die Sowjetunion als Beispiele nehmen, aber es ist nicht nötig, einzelne Nationen zu erwähnen. Waffen, die von Firmen in irgendeiner der fortgeschrittenen Industrienationen hergestellt werden, können letzten Endes von jedem Land aus einer breiten Vielfalt von Nationen gekauft werden. Die Existenz einer erfolgreichen Angriffswaffe, etwa der Exocet-Rakete, die über die Oberfläche fliegt, fordert die Erfindung einer leistungsfähigen Gegenmaßnahme heraus, etwa eine Funkstöreinrichtung, die das Steuersystem der Rakete »durcheinanderbringt«. Die Gegenwaffe wird wahrscheinlich von einem Feindland hergestellt, aber sie könnte auch von demselben Land, ja sogar von derselben Firma hergestellt werden! Keine Firma ist schließlich besser dazu geeignet, einen Störmechanismus für eine spezielle Rakete zu entwerfen, als die Firma, die die Rakete ursprünglich hergestellt hat. Es ist nichts inhärent Unwahrscheinliches daran, daß dieselbe Firma beides produziert und in einem Krieg an die beiden feindlichen Seiten verkauft. Ich bin zynisch genug, zu argwöhnen, daß das tatsächlich geschieht, und das veranschaulicht überzeugend das Argument über die Ausrüstung, die besser wird, wohingegen ihre Netto-Effizienz stagniert (und die Kosten ansteigen).
Für meine gegenwärtigen Überlegungen ist die Frage, ob die Hersteller auf entgegengesetzten Seiten eines menschlichen Wettrüstens Feinde oder miteinander identisch sind, nicht relevant, und zwar auf interessante Weise nicht. Worauf es ankommt, ist, daß - ungeachtet ihrer Hersteller - die Einrichtungen selbst Feinde sind in dem speziellen Sinn, den ich in diesem Kapitel definiert habe. Die Rakete und ihre spezifische Störeinrichtung sind insofern Feinde, als der Erfolg des einen gleichbedeutend ist mit dem Versagen des anderen. Ob ihre Erfinder ebenfalls Feinde sind, ist irrelevant, obwohl es wahrscheinlich leichter sein wird, anzunehmen, daß sie es sind.
Bisher habe ich das Beispiel der Rakete und ihres spezifischen Gegenmittels erörtert, ohne den evolutionären, progressiven Aspekt zu betonen, der schließlich den Hauptgrund dafür darstellt, daß ich es in dieses Kapitel eingeführt habe. Der springende Punkt hier ist, daß nicht nur der gegenwärtige Bauplan einer Rakete ein geeignetes Gegenmittel, sagen wir einmal einen Störmechanismus, herausfordert oder hervorruft. Die Antiraketeneinrichtung fordert ihrerseits wieder eine Verbesserung im Bauplan der Rakete heraus, eine Verbesserung, die spezifisch gegen das Gegenmittel gerichtet ist, also eine Anti-Anti-Raketeneinrichtung. Es ist fast so, als ob jede Verbesserung an der Rakete die nächste Verbesserung an sich selbst stimuliert, und zwar über ihren Effekt auf das Gegenmittel. Das ist ein Rezept für explosive, unaufhaltsame Evolution.
Nach einigen Jahren dieses heftigen Abwechselns von Erfindung und Gegenerfindung wird die gängige Version sowohl von Rakete als auch Gegenmechanismus einen sehr hohen Grad an Komplexität erreicht haben. Doch zur gleichen Zeit - und hier ist der Rote-Königin-Effekt wieder - gibt es keinen allgemeinen Grund zu der Annahme, daß eine der beiden Seiten bei dem Wettrüsten auch nur im geringsten erfolgreicher als zu Beginn des Wettrüstens ist. Ja, wenn sowohl die Rakete als auch ihr Gegenmittel sich mit derselben Rate verbessert haben, so können wir sogar erwarten, daß die letzten, am meisten fortgeschrittenen und ausgeklügelten Versionen und die ersten,
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