Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
Vom Netzwerk:
paradox. Er ist völlig mit dem gesunden Menschenverstand vereinbar, solange dieser intelligent angewandt wird. Allerdings kann das Wettrüsten, wenn es auch nicht paradox ist, Situationen heraufbeschwören, die ökonomisch denkenden Menschen verschwenderisch erscheinen.
    Warum, zum Beispiel, sind die Bäume in den Wäldern so hoch? Die kurze Antwort ist, daß alle anderen Bäume hoch sind, so daß kein Baum es sich leisten kann, nicht hoch zu sein. Er würde überschattet, wenn er klein wäre. Das ist im wesentlichen die Wahrheit, doch es beleidigt den wirtschaftlich denkenden Menschen. Es scheint so unsinnig, so verschwenderisch. Wenn alle Bäume genauso hoch sind wie das Wipfeldach, so sind sie alle der Sonne ungefähr gleich ausgesetzt, und keiner könnte es sich leisten, auch nur etwas kürzer zu sein. Aber wenn sie alle niedriger wären, wenn es nur irgendein Gewerkschaftsabkommen gäbe, die anerkannte Höhe der Wipfeldächer in Wäldern zu senken, so hätten alle Bäume einen Vorteil davon. Sie würden in dem Wipfeldach miteinander um exakt dasselbe Sonnenlicht konkurrieren, aber sie hätten alle viel geringere Wachtumskosten »bezahlt«, um dorthin zu gelangen. Die Gesamtwirtschaft des Waldes hätte einen Vorteil davon und ebenso jeder einzelne Baum. Leider jedoch sind der natürlichen Auslese Gesamtwirtschaften gleichgültig, und sie kennt keine Kartelle und Absprachen. Es hat ein Wettrüsten gegeben, in dessen Verlauf die Bäume im Wald im Lauf der Generationen höher wurden. In jedem Stadium des Wettrüstens lag kein spezifischer Vorteil darin, um seiner selbst willen groß zu sein. In jedem Stadium des Wettrüstens lag der einzige Sinn, groß zu sein, darin, relativ größer zu sein als die Nachbarbäume.
    In dem Maße, wie das Wettrüsten andauerte, stieg die Durchschnittsgröße der Bäume im Waldwipfeldach an. Aber der Vorteil, den die Bäume davon hatten, groß zu sein, nahm nicht zu. Er nahm tatsächlich sogar ab wegen der gestiegenen Wachstumskosten. Aufeinanderfolgende Generationen von Bäumen wurden immer größer, aber am Ende wären sie in gewissem Sinne besser dort geblieben, wo sie begonnen hatten. Hier also ist die Verbindung mit Alice und der Roten Königin, aber der Leser kann erkennen, daß der Effekt im Fall der Bäume nicht wirklich paradox ist. Es ist im allgemeinen charakteristisch fürs Wettrüsten, einschließlich des Wettrüstens der Menschen, daß, obgleich es allen besserginge, wenn keiner von ihnen eskalierte, der eine, solange der andere eskaliert, es sich nicht leisten kann, es nicht auch zu tun. Nebenbei gesagt sollte ich wieder einmal darauf hinweisen, daß ich die Geschichte zu vereinfacht erzählt habe. Ich wollte nicht den Gedanken nahelegen, daß in jeder buchstäblichen Generation die Bäume größer sind als ihre Gegenstücke in der vorhergehenden Generation, und genausowenig, daß das Wettrüsten notwendigerweise immer noch anhält.
    Ein anderer Gedanke, der sich aus dem Beispiel der Bäume ergibt, ist der, daß Wettrüsten nicht zwangsläufig zwischen Mitgliedern verschiedener Arten stattfinden muß. Einzelne Bäume werden mit genau derselben Wahrscheinlichkeit zu ihrem Schaden von Angehörigen ihrer eigenen Art wie von Angehörigen anderer Arten überschattet. Wahrscheinlich de facto mehr von ersteren, denn alle Organismen werden stärker durch die Konkurrenz von Angehörigen ihrer eigenen Art bedroht als von anderen. Angehörige der eigenen Art sind in viel mehr Einzelheiten Konkurrenten um dieselben Ressourcen als Angehörige anderer Arten. Es gibt auch Wettrüsten innerhalb der Arten zwischen den Rollen von Männchen und Weibchen sowie zwischen den Rollen von Eltern und Nachkommen. Ich habe das in meinem Buch Das egoistische Gen erörtert und will dieser Frage hier nicht weiter nachgehen.
    Das Baumbeispiel erlaubt es mir, eine wichtige allgemeine Unterscheidung zwischen zwei Sorten von Wettrüsten einzuführen, dem symmetrischen und asymmetrischen Wettrüsten. Ein symmetrisches Wettrüsten findet zwischen zwei Konkurrenten statt, die, grob gesehen, beide dasselbe zu tun versuchen. Das Wettrüsten zwischen Bäumen im Wald, die darum kämpfen, das Sonnenlicht zu erreichen, ist ein Beispiel. Die verschiedenen Baumarten verdienen nicht alle ihren Unterhalt auf ganz genau dieselbe Weise, aber soweit es das besprochene spezielle Wettrennen betrifft - den Kampf um das Sonnenlicht über den Baumkronen -, sind sie Konkurrenten um dieselbe Ressource. Sie sind an einem

Weitere Kostenlose Bücher