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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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gehen davon aus, daß gleichermaßen Gene für weibliche Präferenz in den Körpern der Männchen getragen werden, auch wenn sie nur in weiblichen Körpern zum Ausdruck kommen. Und Gene für männliche Schwänze werden in weiblichen Körpern getragen, auch wenn sie bei den Weibchen nicht zum Ausdruck kommen.
    Nehmen wir an, wir hätten ein spezielles Mikroskop, um in die Zellen jedes beliebigen Vogels hineinzusehen und seine Gene in Augenschein zu nehmen. Greifen wir ein Männchen heraus, das zufällig einen überdurchschnittlich langen Schwanz hat, und sehen wir uns die Gene im Innern seiner Zellen an. Schauen wir zuerst die Gene für Schwanzlänge selbst an, so überrascht es uns nicht, wenn wir entdecken, daß er Gene besitzt, die einen langen Schwanz erzeugen: das ist offensichtlich, da er ja einen langen Schwanz hat. Schauen wir aber nun nach seinen Genen für Schwanz präferenz. Hier gibt uns seine äußere Erscheinung keinen Hinweis, da solche Gene nur bei Weibchen zum Ausdruck kommen. Wir müssen mit unserem Mikroskop hinschauen. Was würden wir sehen? Wir würden Gene sehen, die Weibchen veranlassen, lange Schwänze zu bevorzugen. Umgekehrt würden wir, wenn wir in ein Männchen hineinblickten, das tatsächlich einen kurzen Schwanz hat, Gene sehen, die Weibchen zur Vorliebe für kurze Schwänze veranlassen. Das ist tatsächlich ein entscheidend wichtiger Punkt in unserer Beweisführung. Die logische Erklärung dafür sieht folgendermaßen aus.
    Wenn ich ein Männchen mit einem langen Schwanz bin, so ist es eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich, daß mein Vater ebenfalls einen langen Schwanz hatte. Das ist einfach normale Vererbung. Darüber hinaus aber, da mein Vater von meiner Mutter als Paarungspartner ausgesucht wurde, ist es eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich, daß meine Mutter langgeschwänzte Männchen bevorzugt hat. Wenn ich also Gene für einen langen Schwanz von meinem Vater geerbt habe, so habe ich wahrscheinlich auch Gene für die Bevorzugung langer Schwänze von meiner Mutter geerbt. Aufgrund derselben Argumentation besteht die Wahrscheinlichkeit, daß, wenn jemand die Gene für einen kurzen Schwanz geerbt hat, er auch die Gene geerbt hat, die dazu führen, daß Weibchen einen kurzen Schwanz bevorzugen.
    Wir können dieselbe Art von Argumentation für die Weibchen durchführen. Wenn ich ein Weibchen bin, das langschwänzige Männchen bevorzugt, so ist es wahrscheinlich, daß meine Mutter ebenfalls langgeschwänzte Männchen bevorzugt hat. Daher besteht eine gute Wahrscheinlichkeit, daß mein Vater einen langen Schwanz hatte, da er von meiner Mutter ausgewählt wurde. Wenn ich daher Gene für die Bevorzugung von langen Schwänzen geerbt habe, so ist es wahrscheinlich, daß ich auch die Gene für den Besitz eines langen Schwanzes geerbt habe, ob diese Gene nun tatsächlich in meinem weiblichen Körper zum Ausdruck kommen oder nicht. Und wenn ich Gene für die Präferenz von kurzen Schwänzen geerbt habe, so habe ich mit aller Wahrscheinlichkeit auch Gene für den Besitz eines kurzen Schwanzes geerbt. Die allgemeine Schlußfolgerung lautet folgendermaßen: Jedes Individuum beiderlei Geschlechts enthält mit Wahrscheinlichkeit sowohl Gene, die dafür sorgen, daß Männchen eine bestimmte Eigenschaft haben, als auch Gene, die dafür sorgen, daß Weibchen eben dieselbe Eigenschaft bevorzugen, was auch immer diese Eigenschaft sein mag.
    Somit werden die Gene für männliche Merkmale und die Gene, die Weibchen jene Merkmale bevorzugen lassen, nicht aufs Geratewohl in der Population herumgemischt werden, sondern sie werden dazu tendieren, zusammengemischt zu werden. Dieses »Zusammengehen«, das unter der einschüchternden technischen Bezeichnung Koppelungsungleichgewicht bekannt ist, spielt den Gleichungen der mathematischen Genetik die sonderbarsten Streiche. Es hat seltsame und wunderbare Folgen, unter denen nicht die geringste in der Praxis, wenn Fisher und Lande recht haben, die explosive Evolution von Pfauen- und Hahnenschweif-Widah-Schwänzen sowie einer Unmenge anderer Organe zum Anlocken des Partners ist.
    Diese Konsequenzen lassen sich nur mathematisch beweisen, aber wir können sie mit Worten beschreiben und der mathematischen Beweisführung in nichtmathematischer Sprache Geschmack abzugewinnen versuchen. Wir brauchen immer noch unsere geistigen Rennschuhe, obwohl Kletterstiefel eigentlich eine angemessenere Analogie wäre. Jeder Schritt in der Beweisführung ist einfach genug, aber es

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