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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Weibchen mit einem Geschmack für längere Schwänze, als sie guten Bauplankriterien entsprechen, werden schlecht gebaute, leistungsschwache, ungeschickt fliegende Söhne haben. Jedes mutante Weibchen, das zufällig eine unmoderne Vorliebe für Männchen mit kürzeren Schwänzen hat, insbesondere ein mutantes Weibchen, dessen Geschmacksrichtung in bezug auf Schwänze zufällig mit dem nützlichen Optimum zusammenfällt, würde leistungsfähige Söhne hervorbringen, die hervorragend fliegen und die Söhne ihrer modebewußteren Rivalinnen gewiß ausstechen könnten. Aber hier liegt der Hase im Pfeffer. Er ist sozusagen in meinem Bild von der »Mode« stillschweigend inbegriffen. Die Söhne des mutanten Weibchens mögen leistungsfähige Flieger sein, aber sie werden in den Augen der Mehrheit der Weibchen in der Population nicht attraktiv sein. Sie werden nur Minderheitenweibchen anlocken, modeverabscheuende Weibchen; und Minderheitenweibchen sind per definitionem schwerer zu finden als Weibchen, die der Mehrheit angehören, weil sie dünner gesät sind. In einer Sozietät, in der nur eins von sechs Männchen sich überhaupt paart und die glücklichen Männchen große Harems haben, ist es enorm vorteilhaft, dem Geschmack der Mehrheit der Weibchen Vorschub zu leisten, und zwar so stark, daß sehr wohl die Kosten für Energie und Flugeffizienz voll und ganz aufgewogen werden.
    Dennoch, so könnte der Leser sich beschweren, beruht die ganze Beweisführung auf einer willkürlichen Annahme. Vorausgesetzt, die meisten Weibchen bevorzugen unnütz lange Schwänze, wird der Leser zugestehen, dann folgt alles andere automatisch. Aber warum hat sich diese Mode unter der Mehrheit der Weibchen überhaupt erst einmal herausgebildet? Warum zog die Mehrheit der Weibchen nicht Schwänze vor, die kleiner als das nützliche Optimum sind, oder genau dem nützlichen Optimum entsprechen? Warum soll die Mode denn nicht mit der Nützlichkeit übereinstimmen? Die Antwort lautet, daß derartiges tatsächlich hätte geschehen können, und oft ist es wahrscheinlich auch so geschehen. Mein hypothetischer Fall der Weibchen, die lange Schwänze bevorzugen, war in der Tat willkürlich. Aber was auch immer zufällig der Geschmack der Mehrheit der Weibchen gewesen wäre und wie willkürlich auch immer er gewesen wäre, es hätte eine Tendenz bestanden, jene Mehrheit durch Auslese zu erhalten oder unter einigen Bedingungen sogar sie tatsächlich zu verstärken - zu übertreiben. An diesem Punkt der Beweisführung macht sich der Mangel an mathematischer Rechtfertigung in meinem Bericht deutlich bemerkbar. Ich könnte dem Leser einfach vorschlagen, zu akzeptieren, daß Landes mathematische Beweisführung das Argument eindeutig beweist, und es dabei belassen. Vermutlich wäre das sogar das Schlaueste, was ich tun kann, aber ich werde dennoch einen Versuch unternehmen, einen Teil der Idee mit Worten zu erklären.
    Der Schlüssel zur Beweisführung liegt in dem vorhin schon dargestellten Gedanken des »Koppelungsungleichgewichts«, dem »Zusammengehen« von Genen für Schwänze einer gegebenen Länge - jeder Länge - und den entsprechenden Genen für die Bevorzugung von Schwänzen eben derselben Länge. Wir könnten uns den »Zusammengehfaktor« als eine meßbare Zahl vorstellen. Ist der Zusammengehfaktor sehr hoch, so bedeutet das, die Kenntnis über die Schwanzlängen-Gene eines Individuums setzt uns in die Lage, mit großer Genauigkeit seine/ihre Gene für die Bevorzugung vorauszusetzen und umgekehrt. Oder, wenn der Zusammengehfaktor niedrig ist, so bedeutet das, die Kenntnis über die Gene des Individuums in einer der beiden Beziehungen - Präferenz oder Schwanzlänge - gibt uns nur einen ungenauen Hinweis auf seine/ ihre Gene in der anderen Beziehung.
    Die Größe des Zusammengehfaktors wird von der Stärke der Präferenz der Weibchen bestimmt, d. h. davon, wie tolerant sie gegenüber den Männchen sind, die sie als nicht perfekt ansehen, oder davon, ein wie großer Teil der Variation in der männlichen Schwanzlänge von Genen im Gegensatz zu Umweltfaktoren gesteuert wird; und so weiter. Wenn als Resultat all dieser Effekte der Zusammengehfaktor - die Enge der Bindung von Genen für Schwanzlänge und Genen für Schwanzlängenpräferenz - sehr groß ist, können wir folgende Konsequenz ableiten: Jedesmal, wenn ein Männchen wegen seines langen Schwanzes ausgewählt wird, werden nicht nur Gene für lange Schwänze ausgewählt. Wegen der Koppelung, wegen des

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