Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
enthält es wahrscheinlich Gene, die die Weibchen kurze Schwänze bevorzugen lassen. Wenn also ein Weibchen seine Wahl trifft, so wählen, wo auch immer ihre Präferenz liegt, wahrscheinlich die so beeinflussenden Gene in den Männchen Kopien ihrer selbst aus. Sie wählen Kopien ihrer selbst aus, indem sie die männliche Schwanzlänge als Etikett benutzen, eine komplizierte Version der Art und Weise, in der das hypothetische Grüne-Bart-Gen den grünen Bart als Etikett benutzt.
Wenn die Hälfte der Weibchen in der Population Männchen mit langen Schwänzen bevorzugt und die andere Männchen mit kurzen Schwänzen, so würden die Gene für »Damenwahl« immer noch Kopien ihrer selbst auswählen, aber im allgemeinen ohne Tendenz zugunsten des einen oder anderen Schwanztyps. Vielleicht ginge die Tendenz dahin, die Population in zwei Teile aufzuspalten - einen Teil, der langschwänzig wäre und lange Schwänze bevorzugt, und einen kurzschwänzigen, kurze Schwänze bevorzugenden Teil.
Aber eine derartige Zweiteilung der »Ansicht« der Weibchen ist nicht sehr stabil. In dem Moment, in dem sich unter den Weibchen eine Mehrheit für die Bevorzugung des einen oder anderen Typs anzusammeln beginnt, und sei sie noch so klein, würde jene Mehrheit in nachfolgenden Generationen verstärkt werden. Und zwar deshalb, weil es für Männchen, die von den Weibchen des in der Minderheit befindlichen Schönheitsideals bevorzugt werden, schwierig wäre, Paarungspartner zu finden, und Weibchen des weniger vertretenen Schönheitsideals hätten Söhne, die relativ schwer Partner finden, so daß die Weibchen in der Minderheit weniger Enkel hätten. Wann immer kleine Minderheiten dazu tendieren, größere Mehrheiten zu werden, haben wir ein Rezept für positive Rückkoppelung: »Denn wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe, wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.« Wann immer ein instabiles Gleichgewicht herrscht, tendieren willkürliche, zufällige Ansätze dazu, sich selbst zu verstärken. Wenn wir einen Baumstamm durchsägen, können wir nicht genau wissen, ob er in nördlicher oder südlicher Richtung fallen wird, wenn er aber erst einmal in die eine oder andere Richtung zu fallen beginnt, so kann ihn nichts mehr zurückholen.
Schnüren wir unsere Kletterstiefel noch fester, und bereiten wir uns darauf vor, einen weiteren Haken in die Wand zu schlagen. Erinnern wir uns, daß die weibliche Auslese die Schwanzlänge der Männchen sozusagen in eine Richtung zieht, während die »nützliche« Selektion sie in eine andere zieht (»ziehen« im Sinne der Evolution, natürlich), und daß die tatsächliche durchschnittliche Schwanzlänge ein Kompromiß zwischen diesen beiden Einflüssen ist. Führen wir nun eine Größe ein, die wir als »Wahldiskrepanz« bezeichnen wollen. Das ist der Unterschied zwischen der tatsächlichen durchschnittlichen Schwanzlänge der Männchen in der Population und der »idealen« Schwanzlänge, die das durchschnittliche Weibchen in der Population tatsächlich bevorzugen würde. Die Einheiten, in denen man die Wahldiskrepanz mißt, sind willkürlich, geradeso wie die Fahrenheit- oder Celsiusgrade willkürlich sind. So wie man es für die Celsius-Skala als gut angesehen hat, den Nullpunkt bei der Gefriertemperatur von Wasser anzusetzen, so finden wir es passend, den Punkt, an dem der Zug der sexuellen Auslese gerade gleich dem entgegengesetzten Zug der Nützlichkeitsselektion ist, mit Null zu bezeichnen. Mit anderen Worten: Bei einer Wahldiskrepanz von Null kommt die evolutionäre Veränderung zum Stillstand, weil die beiden entgegengesetzten Arten von Selektion sich gerade gegenseitig aufheben.
Es ist klar, daß, je größer die Wahldiskrepanz, um so stärker der evolutionäre »Zug«, den die Weibchen gegen den entgegengesetzt wirkenden Zug der nützlichen natürlichen Auslese ausüben. Wir sind aber nicht an dem absoluten Wert der Wahldiskrepanz zu irgendeinem bestimmten Zeitpunkt interessiert, sondern daran, wie sich die Wahldiskrepanz in aufeinanderfolgenden Generationen verändert. Als Folge einer gegebenen Wahldiskrepanz werden die Schwänze länger, und gleichzeitig (man erinnere sich, daß Gene für die Auswahl von langen Schwänzen gemeinsam mit Genen für den Besitz von langen Schwänzen selektiert werden) wird der von den Weibchen bevorzugte ideale Schwanz ebenfalls länger. Nach einer Generation dieser zweifachen Selektion sind sowohl durchschnittliche Schwanzlänge als
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