Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
auch durchschnittliche bevorzugte Schwanzlänge länger geworden, aber welcher Wert nahm stärker zu? Dies ist eine andere Form der Frage, was mit der Wahldiskrepanz geschieht.
Die Wahldiskrepanz hätte gleich bleiben können (wenn durchschnittliche Schwanzlänge und durchschnittliche bevorzugte Schwanzlänge beide um denselben Betrag angestiegen wären). Sie hätte kleiner werden können (wenn die durchschnittliche Schwanzlänge stärker anstieg als die bevorzugte Schwanzlänge). Oder schließlich hätte sie größer werden können (wenn die durchschnittliche Schwanzlänge etwas anstieg, aber nicht soviel wie die durchschnittliche bevorzugte Schwanzlänge). Wir beginnen jetzt zu erkennen, daß sich, wenn die Wahldiskrepanz kleiner wird, während die Schwänze länger werden, die Schwanzlänge zu einer stabilen Gleichgewichtslänge hinbewegen wird. Wenn jedoch die Wahldiskrepanz größer wird und die Schwänze ebenfalls, so sollten die zukünftigen Generationen theoretisch Schwänze haben, die mit immer größer werdender Geschwindigkeit länger werden.
Zweifellos hat Fisher das vor 1930 berechnet, aber in so knappe Worte gefaßt, daß andere ihn zu jener Zeit nicht deutlich verstanden.
Sehen wir uns zuerst den Fall an, in dem die Wahldiskrepanz im Lauf der Generationen immer kleiner wird. Sie wird endlich so klein, daß der Zug der weiblichen Präferenz in die eine Richtung gerade den Zug der nützlichen Selektion in die andere Richtung aufhebt. Der evolutionäre Wandel kommt dann zum Stillstand, und man sagt vom System, es befinde sich im Zustand des Gleichgewichts. Hier stoßen wir nun auf etwas Interessantes, das Lande in diesem Zusammenhang bewies, nämlich daß es, zumindest unter einigen Bedingungen, nicht nur einen Gleichgewichtspunkt gibt, sondern viele (theoretisch eine infinite Zahl von Punkten, in einem Diagramm auf einer geraden Linie angeordnet, aber das ist Mathematik!). Es gibt nicht nur einen Gleichgewichtspunkt, sondern viele: Für jede Stärke der Nützlichkeitsselektion in einer Richtung entwickelt sich die Stärke der weiblichen Präferenz, so daß sie sie genau ausgleicht.
Daher wird unter Bedingungen, bei denen die Wahldiskrepanz im Verlauf der Generationen kleiner wird, die Population an dem »am nächsten« gelegenen Gleichgewichtspunkt zur Ruhe kommen. Hier wird die in eine Richtung ziehende Nützlichkeitsauslese von der in die andere Richtung ziehenden weiblichen Selektion gerade aufgehoben; und die Schwänze der Männchen behalten ihre Länge bei, gleichgültig, um welche Länge es geht. Der Leser erkennt, daß wir es hier mit einem negativen Rückkoppelungssystem zu tun haben. Man kann ein solches System immer daran erkennen, was passiert, wenn man es »stört«, so daß es sich von seinem idealen »Ruhepunkt« entfernen muß. Wenn man die Temperatur eines Raumes stört, indem man z. B. das Fenster öffnet, so antwortet der Thermostat darauf, indem er die Heizung anwirft, um den Unterschied auszugleichen.
Wie könnte das System der sexuellen Selektion gestört werden? Erinnern wir uns, daß wir über evolutionäre Zeiträume sprechen, so daß es schwierig ist, Experimente durchzuführen - etwas, das dem Fensteröffnen entspräche - und die Ergebnisse noch während unserer Lebenszeit zu sehen. Aber es ist kein Zweifel, daß in der Natur das System oft gestört wird, etwa durch spontane, willkürliche Schwankungen aufgrund zufälliger (glücklicher oder unglücklicher) Ereignisse in der Zahl der Männchen. Wann immer es geschieht, so wird - die bisherigen Bedingungen weiterhin vorausgesetzt - eine Kombination aus militaristischer und sexueller Auslese die Population zum nächsten Gleichgewichtspunkt auf der Reihe der möglichen Punkte zurücklenken. Das wird wahrscheinlich nicht derselbe Gleichgewichtspunkt sein wie zuvor, sondern ein anderer, der auf der Linie der Gleichgewichtspunkte etwas höher oder niedriger liegt. So kann sich die Population im Lauf der Zeit auf der Linie der Gleichgewichtspunkte auf- und abbewegen. Sich an der Linie entlang aufwärts bewegen bedeutet, daß die Schwänze länger werden - theoretisch gibt es keine Grenze für die Länge. Auf der Linie herab bedeutet, daß die Schwänze kürzer werden - theoretisch bis hin zur Länge Null.
Man bedient sich häufig der Analogie des Thermostaten, um den Begriff eines Gleichgewichtspunktes zu erklären. Wir wollen die Analogie weiterentwickeln, um die etwas schwierige Vorstellung einer Linie von Gleichgewichten zu
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