Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
erörtern, in dem die Wahldiskrepanz im Verlauf der Generationen größer wird (nicht kleiner wie in den vorangegangenen Abschnitten).
Hier sind die theoretischen Konsequenzen sogar noch bizarrer als vorher. Statt negativer haben wir positive Rückkoppelung. Die Generationen folgen einander, die Schwänze werden länger, aber der Wunsch der Weibchen nach langen Schwänzen wächst noch stärker an. Theoretisch müssen nun die Schwänze im Verlauf der Generationen immer noch länger werden, und zwar mit einer sich stetig stärker beschleunigenden Rate. Theoretisch werden die Schwänze immer noch länger, auch wenn sie schon 10 km lang sind. In der Praxis werden sich die Spielregeln geändert haben, lange bevor solche absurden Längen erreicht sind, gerade so wie unsere Dampfmaschine mit ihrem umgekehrten Wattregler sich nicht wirklich bis zu einer Milliarde Umdrehungen pro Sekunde weiterbeschleunigt hätte. Aber obwohl wir die Schlußfolgerungen des mathematischen Modells abmindern müssen, wenn wir zu den Extremen kommen, können die Folgerungen des Modells auf eine Bandbreite praktisch glaubwürdiger Bedingungen sehr wohl zutreffen.
Heute, 50 Jahre später, können wir verstehen, was Fisher mit der kühnen Behauptung meinte, daß »es leicht zu sehen ist, daß die Geschwindigkeit der Entwicklung der bereits erreichten Entwicklung proportional sein wird, die daher mit der Zeit exponentiell oder in geometrischer Progression ansteigen wird«. Seine logische Grundlage war eindeutig dieselbe wie die Landes, als er sagte: »Die zwei von einem solchen Prozeß betroffenen Merkmale, nämlich Entwicklung des Federkleids beim Männchen und sexuelle Präferenz beim Weibchen für solche Entwicklungen, müssen gemeinsam fortschreiten, und solange der Prozeß nicht von strenger Gegenselektion kontrolliert wird, wird er sich mit immer stärker wachsender Geschwindigkeit fortsetzen.«
Daß Fisher und Lande beide durch mathematische Beweisführung zu denselben faszinierenden Schlußfolgerungen kamen, bedeutet nicht, daß ihre Theorie korrekt widerspiegelt, was in der Natur vor sich geht. Wie Peter O’Donald, Genetiker an der Cambridge University und eine der führenden Autoritäten auf dem Gebiet der Theorie der sexuellen Auslese, gesagt hat, könnte die sich aufschaukelnde Eigenschaft des Lande-Modells so in seine Ausgangsannahmen »eingebaut« sein, daß sie zwangsläufig auf eine recht langweilige Art am anderen Ende der mathematischen Beweisführung wieder herauskäme. Einige Theoretiker, zu denen Alan Grafen und W. D. Hamilton gehören, ziehen alternative Theorien vor, wonach die von den Weibchen getroffene Wahl tatsächlich in einem nützlichen, eugenischen Sinn einen vorteilhaften Effekt auf ihre Nachkommen hat. Sie arbeiten gemeinsam an einer Theorie, der zufolge weibliche Vögel wie diagnostizierende Ärzte fungieren und solche Männchen herausgreifen, die am wenigsten anfällig gegen Parasiten sind. Nach dieser geistreichen - eben typisch Hamiltonschen - Theorie stellt das Männchen mit einem glänzenden Gefieder seine Gesundheit sehr auffällig zur Schau.
Es würde zu lange dauern, wollte ich hier eine ausführliche Erklärung der theoretischen Bedeutung von Parasiten geben. Knapp zusammengefaßt, ist das Problem bei allen »eugenischen« Theorien der Weibchenwahl immer folgendes: Wenn Weibchen wirklich mit Erfolg Männchen mit den besten Genen auswählen könnten, so würde gerade dieser Erfolg die Bandbreite der in der Zukunft zur Verfügung stehenden Möglichkeiten reduzieren: Irgendwann einmal, wenn es nur noch gute Gene gäbe, wäre die Auswahl sinnlos. Die Parasiten beseitigen diesen theoretischen Einwand. Der Grund ist nach Hamilton, daß Parasiten und Wirte in ein niemals endendes zyklisches Wettrüsten eintreten. Was wiederum bedeutet, daß die »besten« Gene in einer beliebigen Vogelgeneration nicht dasselbe sind wie die besten Gene in zukünftigen Generationen. Was die gegenwärtige Generation von Parasiten schlägt, bleibt wirkungslos gegen die nächste Generation durch Evolution veränderter Parasiten. Daher wird es immer einige Männchen geben, die zufällig genetisch besser ausgerüstet sind als andere, um die gegenwärtige Menge von Parasiten zu besiegen. Die Weibchen können daher ihren Nachkommen einen Vorteil verschaffen, indem sie den gesündesten aus der gegenwärtigen Generation der Männchen auswählen. Die einzigen allgemeinen Kriterien, die aufeinanderfolgende Generationen von Weibchen
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