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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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erklären. Nehmen wir an, ein Raum besäße sowohl eine Heiz- als auch eine Kühlvorrichtung, jede mit ihrem eigenen Thermostat. Beide Thermostate sind so eingestellt, daß sie den Raum auf derselben konstanten Temperatur von 20 ° Celsius halten. Wenn die Temperatur unter 20 abfällt, springt die Heizung an, und die Kühlung stellt sich ab. Steigt die Temperatur über 20, springt die Kühlung an, und die Heizung stellt sich ab. Das Analogon der Schwanzlänge des Hahnenschweif-Widahs ist nun nicht die Temperatur (die bleibt ungefähr konstant bei 20), sondern die Gesamtrate des Elektrizitätsverbrauchs. Worauf es hier ankommt, ist, daß es viele verschiedene Wege gibt, die gewünschte Temperatur zu erreichen. Sie kann erreicht werden, wenn beide Vorrichtungen auf Hochtouren laufen, so daß die Heizung heiße Luft ausströmt und die Kühlung sich zu Tode arbeitet, um die Hitze zu kompensieren. Oder sie kann erzielt werden, indem der Heizkörper etwas weniger Wärme ausstößt und das Kühlaggregat dementsprechend etwas weniger schwer arbeitet, um sie zu neutralisieren. Oder sie kann erreicht werden, indem beide Einrichtungen fast überhaupt nicht arbeiten. Es liegt auf der Hand, daß die letzte Lösung unter dem Kostengesichtspunkt die günstigste ist; wenn es jedoch nur darum geht, die Temperatur von 20 Grad möglichst konstant zu halten, ist jede einzelne einer langen Reihe von Raten der Arbeitsintensität gleichermaßen zufriedenzustellend. Wir haben eine Linie von Gleichgewichtspunkten, und nicht nur einen einzigen Punkt. Abhängig von den Einzelheiten des Aufbaus des Systems, Verzögerungen im System und anderen Dingen, mit denen sich die Ingenieure befassen, ist es theoretisch möglich, daß die Rate des Elektrizitätsverbrauchs im Raum an der Linie der Gleichgewichtspunkte herauf- und herunterklettert, während die Temperatur dieselbe bleibt. Wird die Raumtemperatur gestört, so daß sie etwas unter 20 Grad absinkt, so kehrt sie dahin zurück, aber sie kehrt nicht zwangsläufig zu derselben Kombination der Arbeitsraten von Heizung und Kühlung zurück. Sie kann auch zu einem anderen Punkt der Gleichgewichtslinie zurückkehren.
    Vom Standpunkt der realen praktischen Ingenieurtechnik wäre es recht schwierig, einen Raum so einzurichten, daß eine echte Linie der Gleichgewichte existierte. In der Praxis ist es wahrscheinlich, daß die Linie »in einem Punkt zusammenfällt«. Auch Russell Landes Argument über eine Linie von Gleichgewichten in der sexuellen Auslese beruht auf Annahmen, die in der Natur möglicherweise nicht zutreffen. Er nimmt zum Beispiel an, daß eine stetige Zufuhr neuer Mutationen erfolgt. Er nimmt an, daß der Auswahlakt durch ein Weibchen völlig kostenfrei ist. Wenn diese Annahme nicht zutrifft, was sehr gut möglich ist, so fällt die »Linie« von Gleichgewichten in einem einzigen Gleichgewichtspunkt zusammen. Aber wie dem auch sei, bisher haben wir nur den Fall erörtert, in dem die Wahldiskrepanz in der Aufeinanderfolge von Generationen der Auslese kleiner wird. Unter anderen Bedingungen kann die Wahldiskrepanz größer werden.
    Es ist schon eine Weile her, daß wir diese Frage besprochen haben; rufen wir uns also ins Gedächtnis zurück, was das bedeutet. Wir haben eine Population, in der die Männchen ein Merkmal besitzen, das sich im Lauf der Evolution verändert, etwa die Schwanzlänge bei Hahnenschweif-Widah unter dem Einfluß der weiblichen Präferenz, die die Schwänze länger werden läßt, und der Nützlichkeitsselektion, die die Schwänze kürzer werden läßt. Die Evolution weist nur deshalb überhaupt irgendeine Triebkraft in Richtung längere Schwänze auf, weil jedesmal, wenn ein Weibchen ein Männchen von dem Typ, den sie »mag«, aus wählt, sie wegen der nichtzufälligen Assoziation von Genen Kopien eben der Gene wählt, die sie zu dieser Wahl veranlaßten. So werden in der nächsten Generation nicht nur die Männchen längere Schwänze haben, sondern die Weibchen werden eine stärkere Vorliebe für längere Schwänze zeigen. Es ist nicht offensichtlich, welcher dieser beiden Zuwachsvorgänge Generation auf Generation die höhere Rate haben wird. Wir haben bisher den Fall betrachtet, bei dem die Schwanzlänge pro Generation stärker anwächst als die Vorliebe. Nun wenden wir uns dem anderen möglichen Fall zu, bei dem die Präferenz pro Generation mit einer sogar noch größeren Rate anwächst als die Schwanzlänge selbst. Mit anderen Worten, wir werden nun den Fall

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