Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
Vom Netzwerk:
langen Schwänzen früher als solche mit Durchschnittsschwänzen. Leider hatte Andersson keine Zeit, um das weitere Schicksal seiner frisierten Vogelmännchen zu verfolgen. Man würde voraussagen wollen, daß die Männchen mit den angeklebten extralangen Schwanzfedern im Durchschnitt früher als normale Männchen durch einen Räuber sterben müßten. Von Männchen mit künstlich gekürzten Schwänzen andererseits sollte man erwarten, daß sie länger leben als gewöhnliche Männchen - weil die normale Länge vermutlich ein Kompromiß zwischen dem Optimum der sexuellen Auslese und dem Nützlichkeitsoptimum ist. Vermutlich kommen die Vögel mit künstlich gekürzten Schwänzen dem Nützlichkeitsoptimum näher und sollten daher länger leben. Diese Überlegungen stecken jedoch voller Annahmen. Wenn z. B. vom Nützlichkeitsstandpunkt aus gesehen der Hauptnachteil eines langen Schwanzes in den Kosten besteht, ihn erst einmal zu produzieren - und nicht so sehr in der größeren Gefahr, zu sterben, nachdem er einmal gewachsen ist -, so würde man nicht erwarten, daß Männchen, die von Andersson einen extralangen Schwanz gratis bekamen, infolgedessen besonders jung sterben.
    Ich bin davon ausgegangen, daß die Präferenz der Weibchen Schwänze und anderen Schmuck zum Größerwerden drängen wird. In der Theorie gibt es, wie wir an früherer Stelle gesehen haben, keinen Grund, warum die Weibchen nicht in genau die entgegengesetzte Richtung drängen sollten, beispielsweise in Richtung immer kürzerer Schwänze. Der gewöhnliche Zaunkönig hat einen so kurzen, stummeligen Schwanz, daß man versucht ist, zu fragen, ob er nicht vielleicht kürzer ist, als er aus rein utilitaristischen Erwägungen heraus sein »sollte«. Die Konkurrenz zwischen männlichen Zaunkönigen ist heftig, wie man aus der in keinem Verhältnis zu ihrer Körpergröße stehenden Lautstärke des Gesangs schließen kann. Ein solcher Gesang ist unweigerlich kostspielig, und es sind sogar Fälle bekannt, in denen ein Zaunkönigmännchen sich buchstäblich zu Tode gesungen hat. Erfolgreiche Männchen haben wie die Hahnenschweif- Widah mehr als ein Weibchen in ihrem Revier. In einem so scharfen Konkurrenzklima könnten wir den Einsatz positiver Rückkoppelungen erwarten. Könnte der kurze Schwanz des Zaunkönigs das Endprodukt eines unaufhaltsamen evolutionären Schrumpfprozesses sein?
    Lassen wir Zaunkönige beiseite, so sind Pfauenräder ebenso wie die Schwänze von Hahnenschweif-Widah und Paradiesvögeln in ihrer farbenfrohen Extravaganz als Endprodukte einer explosiven, spiralförmig anwachsenden Evolution durch positive Rückkoppelung außerordentlich glaubwürdig. Fisher und seine modernen Nachfolger haben uns gezeigt, wie so etwas entstanden sein kann. Ist diese Idee im wesentlichen an die sexuelle Selektion gebunden, oder können wir überzeugende Analogien bei anderen Arten von Evolution finden? Es lohnt sich, diese Frage zu stellen, und sei es nur deshalb, weil es Bereiche unserer eigenen Evolution gibt, für die mehr als ein Hinweis auf explosive Entwicklung existiert, so besonders für das außerordentlich rasche Anwachsen unseres Gehirns im Verlauf der letzten paar Millionen Jahre. Der Gedanke taucht auf, dieser Vorgang könnte ebenfalls der sexuellen Auslese zu verdanken sein, falls der Besitz von viel Gehirn (oder die Auswirkungen von Gehirnbesitz, wie etwa die Fähigkeit, die Schritte eines langen und komplizierten rituellen Tanzes zu behalten) ein sexuell vorteilhaftes Merkmal ist. Es könnte aber auch sein, daß die Hirngröße dank einer anderen Art von Selektion explosionsartig angestiegen ist, die der sexuellen Auslese analog, aber nicht mit ihr identisch ist. Es ist, glaube ich, hilfreich, wenn wir zwischen zwei Ebenen möglicher Analogien zur sexuellen Auslese unterscheiden, einer schwachen und einer starken Analogie.
    Die schwache Analogie sagt einfach folgendes. Jeder evolutionäre Prozeß, bei dem das Endprodukt eines Evolutionsschrittes die Ausgangsbasis für den nächsten Evolutionsschritt bildet, ist potentiell progressiv, gelegentlich in explosiver Weise progressiv. Wir sind diesem Gedanken bereits im vorigen Kapitel in der Form des »Wettrüstens« begegnet. Jede evolutionäre Verbesserung im Bauplan des Räubers verstärkt den Druck auf die Beute und lehrt dadurch die Beute, Räuber besser zu vermeiden. Wodurch wiederum der Druck auf die Räuber verstärkt wird, besser zu werden, so daß wir eine sich hochschraubende Spirale

Weitere Kostenlose Bücher