Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
bald etwas von »Hyperstars« hören? Eine ähnliche positive Rückkoppelung hat das Wort »Chef« abgewertet. Es kommt natürlich vom französischen chef de cuisine und bedeutet Chef oder Oberhaupt der Küche. Per definitionem kann es dann also nur einen Chef pro Küche geben. Nun haben aber, vielleicht um ihre Stellung zu betonen, gewöhnliche (männliche) Köche sich selbst als »Chefs« zu bezeichnen begonnen. Daraufhin hört man häufig die Tautologie »Oberchef«.
Doch wenn darin eine Analogie zu sexueller Auslese besteht, so höchstens in dem von mir als »schwach« bezeichneten Sinn. Lassen Sie mich nun direkt zu dem kommen, das meiner Meinung nach einer »starken« Analogie am nächsten kommt: der Welt der »Pop«-Platten. Wenn man einer Diskussion zwischen Anhängern von Popplatten oder dem Gerede von Diskjockeys im Radio zuhört, so entdeckt man etwas recht Sonderbares. Während andere Genres der Kunstkritik doch ein Minimum an Interesse für Stil oder Vortragsweise, für Stimmung, Gefühlsausdruck, für die Qualitäten und Werte der Kunstform verraten, ist die »Pop«-Musik-Subkultur fast ausschließlich an der Popularität an sich interessiert. Es ist völlig klar, daß das Wichtige an einer Platte nicht ist, wie sie sich anhört, sondern wie viele Leute sie kaufen. Die gesamte Subkultur ist besessen von einer Hitliste der Platten, die Top 20 oder Top 40 heißt und lediglich auf Verkaufszahlen beruht. Wirklich wichtig an einer Platte ist, wo sie in den Top 20 liegt. Wenn wir darüber nachdenken, entdecken wir eine sehr ungewöhnliche Sache und eine sehr interessante dazu, wenn wir an R. A. Fishers Theorie der unaufhaltsamen Evolution denken. Wahrscheinlich ist es auch bezeichnend, daß ein Diskjockey selten nur den gegenwärtigen Platz einer Platte auf der Hitliste nennt, ohne uns gleichzeitig ihre Position in der vorangegangenen Woche anzugeben. So kann der Zuhörer nicht nur die gegenwärtige Popularität der Platte beurteilen, sondern auch Rate und Richtung der Veränderung ihrer Beliebtheit.
Es scheint festzustehen, daß viele Menschen eine Platte kaufen, weil eine Unzahl anderer dieselbe Platte ebenfalls kauft oder wahrscheinlich kaufen wird. Ein schlagender Beweis ist die mittlerweile ruchbar gewordene Tatsache, daß Schallplattenfirmen ihre Vertreter in bestimmte Geschäfte schicken, um die Platten der eigenen Produktion zu kaufen und dadurch die Verkaufszahlen so weit hinaufzutreiben, daß sie »den Absprung« schafft. (Das ist nicht so schwer zu bewerkstelligen, wie es sich anhört, denn die Zahlen der Top 20 beruhen auf den Umsatzzahlen einer kleinen Auswahl von Plattengeschäften.) Wenn man die Testläden kennt, braucht man gar nicht so viele Platten zu kaufen, um die Schätzungen der Verkaufszahlen auf nationaler Ebene entscheidend zu beeinflussen. Es gibt auch gutbelegte Geschichten von Verkäuferbestechungen in diesen Läden.
In geringerem Ausmaß ist dieses Phänomen der Popularität um ihrer selbst willen aus der Welt der Buchveröffentlichungen, der Damenmode und der Werbung ganz allgemein wohlbekannt. Eins der besten Dinge, die ein Pressesprecher über ein Produkt sagen kann, ist, daß es ein Bestseller unter den Produkten seiner Art sei. Jede Woche werden Bücher-Bestsellerlisten veröffentlicht, und es ist zweifellos wahr, daß ein Buch, sobald genügend Exemplare verkauft worden sind, um ihm einen Platz auf einer dieser Listen zu sichern, sich allein wegen dieser Tatsache noch viel besser verkaufen wird. Verlage sprechen davon, daß ein Buch »eingeschlagen hat«, und Verleger mit einigen naturwissenschaftlichen Kenntnissen sprechen von der notwendigen »kritischen Masse«. Das Analogon hier ist die Atombombe. Uranium-235 ist stabil, solange nicht zu viel davon an einem Ort vorhanden ist. Es gibt eine kritische Masse. Wenn die Bombe gezündet wird, werden die beiden Klumpen zusammengebracht, die kritische Masse wird überschritten, und das bedeutet das Ende einer mittelgroßen Stadt. Wenn die Verkaufszahlen eines Buches eine kritische Größe erreichen, kommen sie an den Punkt, wo Flüsterpropaganda usw. dafür sorgt, daß sein Verkauf plötzlich unaufhaltsam anzieht. Die Verkaufszahlen werden plötzlich drastisch größer als vorher, bevor die kritische Masse erreicht war, und es kann eine Zeit exponentiellen Wachstums anbrechen, bevor der Anstieg unvermeidlich abschwillt und der Abstieg einsetzt.
Die zugrundeliegenden Phänomene sind nicht schwer zu verstehen. Im wesentlichen
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