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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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haben wir es hier mit weiteren Beispielen positiver Rückkoppelung zu tun. Die tatsächlichen Qualitäten eines Buches oder sogar einer Popplatte sind Werte, die über den Verkaufszahlen nicht vernachlässigt werden sollten; nichtsdestoweniger existiert überall, wo positive Rückkoppelung vorhanden ist, zwangsläufig ein stark willkürliches Element, das darüber entscheidet, welches Buch oder welche Platte Erfolg hat und welche nicht. Wenn kritische Masse und »Einschlagen« wichtige Elemente jeder Erfolgsform sind, so muß unweigerlich auch eine Menge Glückszufall beteiligt sein, ebenso genügend Raum für Manipulation und Ausnutzung durch Leute, die das System durchschauen. Es lohnt sich zum Beispiel, eine beträchtliche Menge Geld auszugeben, um Werbung für ein Buch oder eine Platte zu machen bis zu dem Punkt, wo es »gerade kritisch wird«, denn dann muß man nicht mehr soviel Geld für die anschließende Werbung verwenden: Die positive Rückkoppelung übernimmt die Führung und erledigt die Werbearbeit.
    Die hier genannten positiven Rückkoppelungen haben mit denen der sexuellen Auslese nach der Theorie von Fisher und Lande manches gemeinsam, aber es gibt auch Unterschiede. Pfauenweibchen, die langgeschwänzte Pfauenhähne bevorzugen, sind allein deshalb begünstigt, weil andere Weibchen dieselbe Präferenz haben. Die Eigenschaften des Männchens selbst sind irrelevant. In dieser Beziehung benimmt sich der Schallplattenfan, der eine besondere Platte einzig und allein nur deshalb will, weil sie zur Spitzengruppe der Hitliste gehört, genauso wie das Pfauenweibchen. Aber die exakten Mechanismen, über die die positive Rückkoppelung in beiden Fällen wirkt, sind verschieden. Und das, denke ich, bringt uns zu dem Punkt zurück, wo wir dieses Kapitel begonnen haben, zu der Warnung nämlich, daß Analogien bis zu einem gewissen Punkt fortgeführt werden dürfen, aber nicht weiter.

Kapitel 9 Der Trick der Intervallisten
     
    Nach der Bibel brauchten die Kinder Israels 40 Jahre, um die Sinaiwüste zu durchwandern und ins Gelobte Land zu kommen. Das sind rund 300 Kilometer. Ihre Durchschnittsgeschwindigkeit lag daher bei ungefähr 20 Metern pro Tag, oder knapp einem Meter pro Stunde, oder sagen wir zwischen 2,5 und 3 Metern pro Stunde, wenn wir die nächtlichen Pausen einrechnen. Wie auch immer wir rechnen, die Durchschnittsgeschwindigkeit ist lächerlich gering, viel langsamer als die sprichwörtliche Schnecke (unglaubliche 50 Meter pro Stunde schafft die Schnecke, die nach dem Guinness-Buch der Rekorde den Weltrekord hält). Aber natürlich glaubt niemand wirklich, daß eine gleichmäßige Durchschnittsgeschwindigkeit dauernd beibehalten wurde. Es liegt auf der Hand, daß die Israeliten schubweise voranzogen und vielleicht für lange Zeiten ein Lager aufschlugen, bevor sie weiterzogen. Wahrscheinlich hatten viele von ihnen keine sehr klare Idee davon, daß sie in eine spezielle Richtung zogen, sondern sie wanderten ziellos herum von Oase zu Oase, wie nomadische Hirtenvölker der Wüste dies gewöhnlich tun. Niemand, so wiederhole ich, glaubt wirklich, daß eine gleichmäßige Durchschnittsgeschwindigkeit dauernd beibehalten wurde. Nehmen wir aber nun an, daß plötzlich zwei redegewandte junge Historiker auf der Bildfläche erschienen. Bisher, so erzählen sie uns, sei die biblische Geschichte von der »kontinuistischen« Denkschule beherrscht gewesen. »Kontinuistische« Historiker, so sagen sie uns, glauben buchstäblich, daß die Kinder Israels zehn Meter pro Tag weitergezogen seien; jeden Morgen legten sie ihre Zelte zusammen, krochen 20 Meter in Richtung Ost-Nordost weiter und bauten dann ihr Lager wieder auf. Die einzige Alternative zum »Kontinuismus«, so vernehmen wir, sei die dynamische neue »intervallistische« Schule der Geschichte. Nach Ansicht der radikalen jungen Intervallisten verbrachten die Israeliten den größten Teil ihrer Zeit in »Stase«, das heißt, sie bewegten sich überhaupt nicht weiter, sondern lagerten, häufig mehrere Jahre hintereinander, an einer Stelle. Dann zogen sie, recht schnell, zu einem neuen Lager weiter, wo sie wiederum mehrere Jahre lang blieben. Ihre Annäherung an das Gelobte Land war nicht schrittweise und kontinuierlich, sondern schubweise: lange Perioden der Ruhe, durchbrochen von kurzen Perioden rascher Bewegung. Darüber hinaus zielten ihre Bewegungsschübe nicht immer in die Richtung Gelobtes Land, sondern verliefen fast aufs Geratewohl in alle

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