Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
aufhalten. Aber Leigh machte folgenden interessanten Vorschlag. Es muß einige Gruppen oder Arten geben, bei denen nun einmal das, was für das Individuum gut ist, recht stark mit dem übereinstimmt, was für die Art gut ist. Und es muß andere Arten geben, bei denen die Interessen des Individuums zufällig besonders stark von den Interessen der Art abweichen. Ceterisparibus wird wohl der zweite Typ von Art mit größerer Wahrscheinlichkeit aussterben. Eine Artselektion würde dann nicht die Selbstaufopferung von Individuen, sondern jene Arten begünstigen, in denen von den Individuen nicht verlangt wird, daß sie ihr eigenes Wohlergehen opfern. Wir könnten dann die Evolution von anscheinend altruistischem individuellem Verhalten beobachten, weil die Artselektion jene Arten begünstigt hat, in denen das Individuum seinem eigenen Vorteil am besten durch scheinbaren Altruismus dient.
Vielleicht das dramatischste Beispiel eines echten Merkmals auf Artebene betrifft die Fortpflanzungsmethode, geschlechtlich oder ungeschlechtlich. Aus Gründen, auf die ich aus Platzmangel nicht eingehen kann, stellt die Existenz der geschlechtlichen Fortpflanzung den Darwinismus vor ein großes theoretisches Rätsel. Vor vielen Jahren war R. A. Fisher, der gewöhnlich jeder Vorstellung von Selektion auf höheren Ebenen als dem individuellen Organismus feindlich gegenüberstand, bereit, eine Ausnahme für den speziellen Fall der Sexualität selbst zuzulassen. Sich geschlechtlich fortpflanzende Arten, so argumentierte er - aus Gründen, auf die ich wiederum nicht eingehen werde (sie sind nicht so offensichtlich, wie man meinen möchte) -, können eine schnellere Evolution durchmachen als sich ungeschlechtlich fortpflanzende Arten. Evolution durchmachen ist etwas, das Arten, nicht etwas, das individuelle Organismen tun: man kann nicht sagen, ein Individuum durchlaufe Evolution. Fisher brachte zu jener Zeit den Gedanken auf, Selektion auf Artniveau sei zum Teil für die Tatsache verantwortlich, daß geschlechtliche Fortpflanzung unter rezenten Tieren so verbreitet ist. Wenn das jedoch so ist, so haben wir hier einen Fall von Ein-Schritt-Selektion vorliegen, nicht von kumulativer Selektion.
Nach dieser Argumentation tendieren sich ungeschlechtlich fortpflanzende Arten, wenn sie auftreten, zum Aussterben, weil sie keine ausreichend schnelle Evolution durchmachen, um mit der sich verändernden Umwelt Schritt zu halten. Sich geschlechtlich fortpflanzende Arten sterben nicht so leicht aus, weil sie sich schnell genug verändern können, um mitzuhalten. Somit pflanzen sich die Arten um uns herum zumeist geschlechtlich fort. Aber die »Evolution«, deren Rate zwischen den beiden Systemen variiert, ist natürlich gewöhnliche Darwinistische Evolution durch kumulative Selektion auf der Ebene des Individuums. Die Artselektion ist nun einmal einfache EinSchritt-Auslese, die zwischen nur zwei Merkmalen wählt, ungeschlechtlicher oder geschlechtlicher Fortpflanzung, langsamer oder schneller Evolution. Die Maschinerie der Geschlechtlichkeit, die Geschlechtsorgane, geschlechtliches Verhalten, die Zellmaschinerie der geschlechtlichen Zellteilung, all das muß durch gewöhnliche, auf niedriger Ebene stattfindende kumulative Darwinsche Auslese zusammengetragen worden sein, nicht durch Artselektion. Jedenfalls lehnen moderne Biologen übereinstimmend die alte Theorie ab, daß die geschlechtliche Fortpflanzung durch irgendeine Art von Selektion auf der Gruppen- oder Artebene beibehalten wird.
Um die Erörterung der Artselektion abzuschließen: Sie könnte für das Artenmuster verantwortlich sein, das jeweils zu gegebener Zeit auf der Welt existiert. Daraus folgt, daß sie auch so weit für sich verändernde Muster der Artenverteilung verantwortlich sein könnte, wie geologische Zeitalter späteren Zeitaltern weichen, d. h. für sich verändernde Muster in den Fossilienurkunden. Aber bei der Evolution der komplexen Maschinerie des Lebens ist sie keine wesentliche Kraft. Im Höchstfall kann sie zwischen mehreren alternativen komplexen Maschinerien auswählen, vorausgesetzt, daß jene komplexen Maschinerien bereits durch echte Darwinsche Selektion zusammengebaut worden sind. Wie ich es schon zuvor formuliert habe: Artselektion mag Vorkommen, aber es sieht nicht so aus, als tue sie viel! Ich kehre jetzt zum Thema der Taxonomie und ihrer Methoden zurück.
Ich sagte, daß die kladistische Taxonomie gegenüber den Typen von Bibliothekarstaxonomien den Vorteil
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