Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
Organe wie Augen und Hände sich durch zufällige Verschiebungen der Genhäufigkeit entwickelt haben. Jeder vernünftige Biologe stimmt mit mir darin überein, daß diese Dinge nur durch natürliche Auslese entstanden sein können. Es ist einfach so, daß die Neutralisten meinen - meiner Ansicht nach zu Recht -, solche Anpassungen seien nur die Spitze des Eisbergs: die Mehrheit des evolutionären Wandels, auf molekularer Ebene gesehen, ist wahrscheinlich nichtfunktional.
Wenn die Molekularuhr ein Faktum ist - und es scheint tatsächlich zuzutreffen, daß jede Sorte von Molekül sich, grob gesehen, mit ihrer eigenen charakteristischen Rate pro Millionen Jahre verändert -, können wir sie dazu benutzen, Abzweigungspunkte im Baum der Evolution zu datieren. Und wenn es wirklich zutrifft, daß der Großteil des evolutionären Wandels auf der Molekularebene neutral ist, so haben die Taxonomen ein wunderbares Geschenk erhalten. Es bedeutet, daß das Problem der Konvergenz mit der Waffe der Statistik beiseite gefegt werden kann. Jedes Tier enthält große Bände genetischen Textes in seinen Zellen; Text, der nach der Theorie der Neutralisten zum großen Teil nicht dazu dient, ihn seiner speziellen Lebensweise anzupassen; Text, der von der Selektion weitgehend unberührt bleibt und großteils auch nicht Gegenstand konvergenter Evolution ist, es sei denn infolge reinen
Zufalls. Die Chance, daß zwei große Teile selektiv neutralen Textes durch Zufall einander ähnlich sein könnten, läßt sich errechnen und ist in der Tat sehr gering. Um so besser: Die konstante Rate der molekularen Evolution erlaubt uns die tatsächliche Datierung von Verzweigungspunkten in der Evolutionsgeschichte.
Man kann die zusätzliche Hilfe, die diese neuen molekularen Sequenz-Ablesetechniken dem Methodenarsenal des Taxonomen gebracht haben, schwerlich hoch genug einschätzen. Natürlich sind bisher noch nicht alle Molekularsätze in allen Tieren entziffert worden, aber man kann bereits in die Bibliothek gehen und die exakte Wort-für-Wort-, Buchstabe-für-Buchstabe-Phraseologie etwa der Hämoglobinsätze eines Hundes, eines Känguruhs, eines Ameisenigels, eines Huhns, einer Viper, eines Wassermolchs, eines Karpfens und eines Menschen nachschlagen. Nicht alle Tiere haben Hämoglobin, aber es gibt andere Proteine, etwa Histone, von denen es in jedem Tier und in jeder Pflanze eine Version gibt, und wieder können viele von ihnen bereits in der Bibliothek nachgesehen werden. Wir finden da keine ungenauen Messungen von der Sorte, die - wie Beinlänge oder Schädelumfang - mit Alter und Gesundheit der Exemplare oder sogar mit der Sehschärfe des Messenden variieren können. Sie sind präzise formulierte alternative Versionen desselben Satzes in derselben Sprache, die nebeneinander gestellt und miteinander verglichen werden können, so minuziös und exakt, wie ein gewissenhafter Gräzist zwei Pergamente desselben Evangeliums vergleichen würde. DNS- Sätze sind die Evangeliendokumente allen Lebens, und wir haben gelernt, sie zu entziffern.
Die Grundannahme der Taxonomen ist, daß nahe Verwandte ähnlichere Versionen eines speziellen molekularen Satzes besitzen als entferntere Verwandte - das ist das sogenannte Sparsamkeitsprinzip. Sparsamkeit ist ein anderes Wort für ökonomische Untergrenze. Wenn eine Gruppe von Tieren mit bekannten Sätzen gegeben ist, etwa die acht Tiere im vorigen Absatz, so liegt unsere Aufgabe darin, das sparsamste von allen möglichen Baumdiagrammen zu finden, das die acht
Tiere verbindet. Der sparsamste Baum ist derjenige, der die ökonomisch geringsten Annahmen macht in dem Sinne, daß er die kleinste Zahl von Wortveränderungen in der Evolution und die kleinste Menge an Konvergenz annimmt. Es ist uns gestattet, aus Gründen der reinen Unwahrscheinlichkeit die minimale Menge an Konvergenz anzunehmen. Es ist unwahrscheinlich - vor allem, wenn ein großer Teil der molekularen Evolution neutral ist -, daß zwei nichtverwandte Tiere genau dieselbe Sequenz, Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe, haben.
Wenn wir alle möglichen Bäume zu betrachten versuchen, so stoßen wir auf Rechenschwierigkeiten. Wenn die Zahl der zu klassifizierenden Tiere drei beträgt, ist die Zahl möglicher Bäume nur drei: A verbunden mit B, unter Ausschluß von C; A mit C unter Ausschluß von B; und B mit C unter Ausschluß von A. Man kann dieselbe Rechnung für größere Zahlen zu klassifizierender Tiere durchführen, und die Anzahl möglicher
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