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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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glauben, daß die breite Mehrheit der evolutionären Veränderungen auf der Ebene der Molekulargenetik neutral sind - zufällig in bezug auf natürliche Auslese. Die andere genetische Schule, deren Vertreter als Selektionisten bezeichnet werden, glauben, die natürliche Auslese sei selbst auf der Ebene dieses Details, an jedem Punkt entlang molekularer Ketten, eine wirksame Kraft.
    Es ist wichtig, zwischen zwei gesonderten Fragen zu unterscheiden. Die erste ist die für dieses Kapitel relevante Frage, ob der Neutralismus als Erklärung der adaptiven Evolution eine Alternative zur natürlichen Auslese darstellt. Die zweite, völlig andersartige Frage dreht sich darum, ob der Großteil des tatsächlich stattfindenden evolutionären Wandels adaptiv ist. Nehmen wir an, wir sprechen über evolutive Veränderung von einer Form eines Moleküls zu einer anderen; wie wahrscheinlich ist es dann, daß die Veränderung durch natürliche Auslese zustande kam, oder aber, daß es eine neutrale Veränderung ist, die durch zufällige Drift entstand? Über diese zweite Frage hat es einen heftigen und wechselvollen Kampf unter den Molekulargenetikern gegeben, bei dem erst die eine Seite die Oberhand gewann, dann die andere. Wenn wir jedoch unsere Aufmerksamkeit auf die Adaptationen richten - auf die erste Frage also -, dann ist das alles nur ein Sturm im Wasserglas. Denn soweit es uns betrifft, kann eine neutrale Mutation ebensogut nicht existieren, da weder wir noch die natürliche Auslese sie zu Gesicht bekommen. Wenn wir an Arme und Beine und Flügel und Augen und Verhalten denken, ist eine neutrale Mutation überhaupt keine Mutation. Benutzen wir wieder den Vergleich mit dem Rezept: Das Gericht wird genau gleich schmecken, auch wenn einige Worte des Rezepts zu einer anderen Schriftart »mutiert« haben. Soweit es diejenigen unter uns betrifft, die sich für das endgültige Gericht interessierten, ist es immer noch dasselbe Rezept, ob es nun so oder so oder so gedruckt ist. Die Molekulargenetiker sind wie penible Drucker. Für sie ist die tatsächliche Form der Wörter wichtig, mit denen die Rezepte niedergeschrieben sind. Für die natürliche Auslese ist sie nicht wichtig, und ebensowenig sollte sie für uns wichtig - sein, wenn wir über die Evolution der Adaptation sprechen. Wenn wir uns hingegen mit anderen Aspekten der Evolution, etwa mit Evolutionsraten in verschiedenen Stammbäumen, befassen, dann allerdings sind neutrale Mutationen von außerordentlich großem Interesse.
    Selbst der eifrigste Neutralist stimmt bereitwillig zu, daß die natürliche Auslese für alle Anpassungen verantwortlich ist. Er sagt lediglich, daß der Großteil des evolutiven Wandels nicht Adaptation ist. Er mag sehr wohl recht haben, obwohl es eine Schule von Genetikern gibt, die dem nicht zustimmen. Wenn ich eine Randbemerkung machen darf, meine eigene Hoffnung ist, daß die Neutralisten gewinnen, denn das wird es soviel leichter machen, evolutionäre Beziehungen und Evolutionsraten auszurechnen. Alle, auf beiden Seiten, sind sich darin einig, daß neutrale Evolution nicht zu adaptiver Verbesserung führen kann, aus dem einfachen Grund, daß neutrale Evolution, per definitionem, beliebig ist; und adaptive Verbesserung ist, per definitionem, nicht beliebig. Wieder ist es uns nicht gelungen, eine Alternative zur Darwinschen Auslese zu finden, die das Merkmal erklärt, das Leben von Nichtleben unterscheidet, nämlich adaptive Komplexität.
    Wir kommen nun zu einem anderen historischen Rivalen des Darwinismus - der Theorie des »Mutationismus«. Sie ist für uns heute schwer zu verstehen, aber in den frühen Jahren dieses Jahrhunderts, als das Phänomen der Mutation seinen Namen erhielt, wurde es nicht als notwendiger Teil der darwinistischen Theorie angesehen, sondern als eine alternative Evolutionstheorie! Es gab eine Schule von Genetikern, die als Mutationisten bezeichnet wurden und zu denen solch berühmte Namen wie Hugo de Vries und William Bateson (einer der frühen Wiederentdecker des Mendelschen Prinzips der Vererbung), Wilhelm Johannsen (der Erfinder des Wortes Gen) und Thomas Hunt Morgan (der Vater der Chromosomentheorie der Vererbung) gehörten. De Vries insbesondere war von der Größe der Veränderung beeindruckt, die Mutation hervorbringen kann, und meinte, neue Arten entstünden immer aus einer einzigen bedeutenden Mutation. Er und Johannsen glaubten, der Großteil der Variation innerhalb von Arten sei nicht genetisch. Alle Mutationisten

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