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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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man denke nur an den Zeitfaktor. Stellen wir die gesamte Zeit, die nötig war, um, vom Wolf ausgehend, alle diese Rassen zu entwickeln, als einen gewöhnlichen Wanderschritt dar. Wie weit würden wir dann auf derselben Skala gehen müssen, um zu Lucy und ihresgleichen, den frühesten menschlichen Fossilien, die unzweifelhaft aufrecht gingen, zurückzukommen? Die Antwort lautet: ungefähr drei Kilometer oder etwas mehr. Und wie weit würden wir gehen müssen, um zum Anfang der Evolution auf der Erde zurückzugelangen? Wir müßten uns den ganzen Weg von London nach Bagdad schleppen. Man summiere alle Veränderungen vom Wolf bis zum Chihuahua und multipliziere sie dann mit der Zahl von Wanderschritten zwischen London und Bagdad. So erhalten wir eine intuitive Vorstellung von der Größe des Wandels, den wir von der natürlichen Evolution erwarten dürfen.
    Der zweite Grund für unsere natürliche Ungläubigkeit im Hinblick auf die Evolution sehr komplexer Organe wie Menschenaugen und Fledermausohren beruht auf einer intuitiven Anwendung der Wahrscheinlichkeitstheorie. Bischof Montefiore zitiert C. E. Raven über Kuckucke, die ihre Eier in die Nester anderer Vögel legen, die dann, ohne es zu wissen, als Zieheltern fungieren. Wie so viele biologische Anpassungen ist die der Kuckucke keine vereinzelte, sondern eine von vielen. Mehrere verschiedene Fakten passen den Kuckuck an seine parasitäre Lebensweise an. Beispielsweise hat die Mutter die Gewohnheit, Eier in die Nester anderer Vögel zu legen, und das Baby hat die Gewohnheit, die Küken des Wirtsvogels aus dem Nest zu werfen. Beide Gewohnheiten verhelfen dem Kuckuck in seinem parasitären Leben zum Erfolg. Raven fährt fort:
    »Wir werden sehen, daß jede dieser Aufeinanderfolgen von Voraussetzungen für den Erfolg des Ganzen entscheidend wichtig ist. Doch jede für sich allein ist nutzlos. Das ganze opus perfectum muß gleichzeitig erreicht worden sein. Die Chancen, die gegen das zufällige Auftreten einer solchen Serie von Koinzidenzen stehen, sind, wie wir bereits gesehen haben, astronomisch.«
    Gottesbeweise wie diese sind im Prinzip respektabler als der Gottesbeweis aus reiner, nackter Ungläubigkeit. Die statistische Wahrscheinlichkeit einer Annahme zu messen ist der richtige Weg, um ihre Glaubwürdigkeit abzuschätzen. Ja, es ist eine Methode, die wir in diesem Buch mehrere Male anwenden. Aber man muß es richtig machen! Zwei Dinge sind falsch an Ravens Argument. Erstens finden wir hier die altbekannte und, ich muß sagen, recht irritierende Verwechslung der natürlichen Auslese mit »Zufälligkeit«. Mutation ist zufällig, natürliche Auslese ist das genaue Gegenteil von Zufall. Zweitens ist es ganz einfach nicht wahr, daß »jeder Schritt für sich allein nutzlos ist«. Es ist nicht wahr, daß das ganze perfekte Werk auf einmal vollbracht worden sein muß. Es ist nicht wahr, daß jeder Teil für den Erfolg des Ganzen entscheidend wichtig ist. Ein simples, rudimentäres, halb ausgegorenes Auge/Ohr/Echoortungssystem oder parasitäres Kuckucksverhalten usw. ist besser als überhaupt keins. Ohne Auge ist man völlig blind. Mit einem halben Auge ist man vielleicht doch in der Lage, festzustellen, aus welcher generellen Richtung ein Feind kommt, auch wenn man kein scharfes Bild von ihm erzeugen kann. Und das kann den ganzen Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. Diese Themen werden in den nächsten zwei Kapiteln noch einmal gründlicher behandelt werden.

Kapitel 3 Die Akkumulation kleiner Veränderungen
     
    Wir haben gesehen, daß lebende Dinge zu unwahrscheinlich und zu bewundernswert »entworfen« sind, um durch Zufall entstanden zu sein. Wie sind sie dann aber entstanden? Die Antwort, Darwins Antwort, heißt: durch schrittweise, stückweise Veränderungen aus einfachen Anfängen, aus Urgebilden, die einfach genug waren, um durch Zufall entstehen zu können. Jede der aufeinanderfolgenden Veränderungen in dem schrittweisen Evolutionsprozeß war gegenüber ihrem Vorgänger so einfach, daß sie zufällig erfolgen konnte. Betrachtet man die Komplexität des letztgültigen Endprodukts im Vergleich zu dem ursprünglichen Ausgangsprodukt, so ist die gesamte Folge kumulativer Schritte jedoch alles andere als zufällig. Gelenkt wird der kumulative Prozeß durch nichtzufälliges Überleben. Zweck dieses Kapitels ist es, zu zeigen, daß die Macht dieser kumulativen Selektion ein im wesentlichen nichtzufälliger Prozeß ist.
    Spaziert man einen steinigen Strand

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