Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
etwas zu leisten, ist undenkbar; Isaac Asimov und andere haben dieses Bild als Beispiel benutzt, um ihre Leser zu verwirren.
Das Hämoglobinmolekül besteht aus vier zusammengedrehten Aminosäureketten. Stellen wir uns nur eine dieser vier Ketten vor. Sie besteht aus 146 Aminosäuren. Lebewesen enthalten gewöhnlich 20 verschiedene Sorten von Aminosäuren. Die Anzahl der möglichen Anordnung von 20 Sorten eines Gebildes in Ketten mit 146 Gliedern ist unvorstellbar groß; Asimov nennt sie die »Hämoglobinzahl«. Die Antwort ist leicht auszurechnen, aber es ist absolut unmöglich, sie sich vorzustellen. Das erste Glied in der 146-gliedrigen Kette könnte aus jedem beliebigen der 20 möglichen Aminosäuren bestehen. Auch für das zweite Glied wäre jedes der 20 denkbar, so daß die Zahl der möglichen Ketten mit zwei Gliedern 20 x 20 = 400 beträgt. Die Zahl der möglichen Ketten mit drei Gliedern lautet 20 x 20 x 20 = 8000. Die Zahl der möglichen Ketten mit 146 Gliedern beträgt also 146mal zwanzig mit sich selbst multipliziert. Das ist eine unermeßlich große Zahl. Eine Million ist eine 1 mit sechs Nullen dahinter, eine Milliarde (1000 Millionen) eine 1 mit neun Nullen dahinter. Die Zahl, die wir suchen, die »Hämoglobinzahl«, ist ungefähr eine 1 mit 190 Nullen dahinter! So groß ist die Wahrscheinlichkeit dagegen, daß es gelingt, durch reines Glück ein Hämoglobinmolekül zusammenzuschütteln. Und ein Hämoglobinmolekül hat nur einen winzigen Bruchteil der Komplexität eines lebenden Körpers. Einfaches Sieben allein kann also offenbar keineswegs die Ordnung erzeugen, die wir in einem Lebewesen vorfinden. Sieben ist ein wesentlicher Bestandteil, um lebende Ordnung zu erzeugen, aber es ist bei weitem nicht alles. Noch etwas anderes ist notwendig. Um zu erklären, was ich meine, muß ich eine Unterscheidung einführen zwischen Selektion »in einem einzigen Schritt« und »kumulativer« Selektion. Die einfachen Siebe, mit denen wir uns in diesem Kapitel bisher befaßt haben, sind alle Beispiele einer Selektion »in einem Schritt«. Lebende Organisation ist das Produkt kumulativer Selektion.
Der grundlegende Unterschied zwischen Ein-Schritt- und kumulativer Selektion ist: Bei einer Ein-Schritt-Selektion werden die ausgelesenen oder -sortierten Einheiten ein für allemal aussortiert. Bei der kumulativen Selektion dagegen »reproduzieren« sie sich; oder anders ausgedrückt, die Ergebnisse eines Siebevorgangs werden in einen darauffolgenden Siebevorgang eingespeist, dessen Resultat wiederum dem nächsten eingegeben wird ... usw. Die Einheiten werden während vieler »Generationen« einer aufeinanderfolgenden Auswahl durch Selektion unterworfen. Das Endprodukt einer Generation der Selektion ist der Ausgangspunkt für die nächste usw., viele Generationen lang. Es ist natürlich, daß wir uns Wörter wie »reproduzieren« und »Generationen« ausborgen; sie beschwören eine Assoziation zu Lebewesen herauf, denn Lebewesen sind die wichtigsten uns bekannten Beispiele von Dingen, die an kumulativer Selektion beteiligt sind. Es ist sogar möglich, daß sie in der Praxis die einzigen sind. Im Augenblick jedoch möchte ich diese Frage nicht durch eine ausdrückliche Behauptung als bewiesen annehmen.
Manchmal kommt es vor, daß Wolken durch das zufällige Zusammenschieben und Auseinandertreiben der Winde die Gestalt vertrauter Gegenstände annehmen. Es gibt ein vielveröffentlichtes Foto, das der Pilot eines kleinen Flugzeugs geschossen hat und das ein wenig so aussieht wie das aus dem Himmel herausblickende Gesicht Jesu. Wir alle haben schon Wolken gesehen, die uns an etwas erinnern - an ein Seepferdchen oder an ein lächelndes Gesicht. Diese Ähnlichkeiten entstehen durch Ein-Schritt-Selektion, d. h. durch ein einziges Zusammentreffen. Sie sind folglich nicht sehr eindrucksvoll. Die Ähnlichkeiten der Tierkreiszeichen mit den nach ihnen benannten Tieren - Skorpion, Löwe - sind ebenso wenig eindrucksvoll wie die Voraussagen von Astrologen. Wir sind von der Ähnlichkeit nicht so überwältigt, wie wir das bei biologischen Anpassungen - den Produkten kumulativer Auslese - sind. Wir bezeichnen die Ähnlichkeit, beispielsweise eines Blattinsekts mit einem Blatt oder einer Gottesanbeterin mit einem Büschel rosa Blüten, als eigenartig, unheimlich oder grandios. Die Ähnlichkeit einer Wolke mit einem Wiesel ist nicht sehr amüsant, kaum wert, einen Begleiter darauf aufmerksam zu machen. Außerdem ist es recht
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