Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
möglichen Strukturen genügend dicht nebeneinander liegen. Wenn die Antwort auf Frage 2 für irgendeinen besonderen Unterschiedsgrad nein ist, so müssen wir nur die Frage für einen geringeren Unterschiedsgrad wiederholen, und zwar so lange, bis wir auf einen Unterschiedsgrad stoßen, der klein genug ist, uns eine positive Antwort auf Frage 2 zu geben.
X ist definiert als etwas, das einem menschlichen Auge sehr ähnlich ist; ausreichend ähnlich, daß das menschliche Auge glaubwürdig durch eine einzige Änderung aus X entstanden sein kann. Wenn ich ein geistiges Bild von X habe und es nicht für plausibel halte, daß das menschliche Auge unmittelbar daraus entstanden sein kann, so bedeutet das einfach, daß ich das falsche X gewählt habe. Ich mache mein geistiges Bild von X nun einem menschlichen Auge zunehmend ähnlicher, bis ich ein X finde, das ich wirklich als unmittelbaren Vorgänger des menschlichen Auges ansehen kann. Es muß ein solches Auge für mich geben, selbst wenn meine Vorstellung davon, was plausibel ist, vorsichtiger oder weniger vorsichtig sein mag als die eines anderen Lesers!
Wenn wir ein X gefunden haben, das Frage 2 positiv beantwortet, wenden wir dieselbe Frage auf X selbst an. Genau dieselbe Überlegung wie vorher läßt uns folgern, daß auch X durch eine einzige Veränderung aus etwas entstehen konnte, das wiederum leicht verschieden war und das wir als X’ bezeichnen können. Es ist klar, daß wir X’ zurückverfolgen können auf ein wieder etwas geringfügig verschiedenes X” usw. Wenn wir eine genügend lange Reihe von Xen dazwischenlegen, können wir das menschliche Auge von etwas ableiten, was keineswegs geringfügig, sondern wirklich sehr verschieden von ihm selbst ist. Wir können eine große Entfernung quer durch den »tierischen Raum« zurücklegen, und das wird plausibel sein, solange unsere Schritte klein genug sind. Nun sind wir in der Lage, eine dritte Frage zu beantworten.
3. Gibt es eine kontinuierliche Reihe von Xen, die das jetzige menschliche Auge mit einem Zustand verbindet, in dem es überhaupt kein Auge gab?
Meiner Ansicht nach scheint es klar zu sein, daß die Antwort ja lauten muß, vorausgesetzt lediglich, wir gestehen eine ausreichend lange Reihe von Xen zu. Der Leser mag das Gefühl haben, daß 1000 Xe viel ist. Wer aber mehr Schritte braucht, damit ihm der ganze Übergang plausibel vorkommt, der erlaube es sich einfach, 10 000 Xe anzunehmen. Und für wen 10 000 nicht genug sind, der gestatte sich 100 000 usw. Offensichtlich setzt die verfügbare Zeit diesem Spiel eine obere Grenze, denn es kann nur ein X pro Generation geben. In der Praxis reduziert sich die Frage daher auf folgende andere: Hat es genügend Zeit für genügend aufeinanderfolgende Generationen gegeben? Wir können hinsichtlich der Anzahl der Generationen, die notwendig wären, keine präzise Antwort geben. Sicher wissen wir nur, daß die geologische Zeit schrecklich lang ist. Nur damit wir eine Vorstellung von der Größenordnung bekommen, über die wir sprechen: die Zahl der Generationen, die uns von unseren frühesten Vorfahren trennen, wird mit Sicherheit in Milliarden gemessen. Wenn wir, sagen wir, mit hundert Millionen Xen rechnen können, so sollten wir eine glaubwürdige Aufeinanderfolge winziger Abstufungen konstruieren können, die das menschliche Auge mit mehr oder weniger allem, was uns einfällt, verbindet.
Bisher sind wir über einen mehr oder weniger abstrakten Denkprozeß zu dem Schluß gekommen, daß es eine Reihe vorstellbarer Xe gibt, von denen jedes seinem Nachbarn derart ähnlich ist, daß es gut zu einem dieser seiner Nachbarn werden könnte; wir können uns ebenfalls vorstellen, daß eine ganze Reihe das menschliche Auge mit einem vergangenen Zustand verbindet, in dem es überhaupt kein Auge gab. Aber wir haben immer noch nicht demonstriert, daß es diese Serie von Xen tatsächlich gegeben haben kann. Dafür müssen wir noch zwei weitere Fragen beantworten.
4. Wenn wir jedes Glied der Abfolge hypothetischer Xe betrachten, die das menschliche Auge mit dem augenlosen Zustand verbindet, ist es glaubwürdig, daß jedes von ihnen durch zufällige Mutation seines Vorgängers entstand?
Das ist in Wirklichkeit eine embryologische Frage, keine genetische; und es ist eine ganz andere Frage als die, die den Bischof von Birmingham und andere störte. Mutation funktioniert durch Veränderung der üblichen Embryonalentwicklung. Es läßt sich argumentieren, daß
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