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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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echte natürliche Auslese hatte mindestens eine Million mal so viele Generationen wie ich zur Verfügung, um die Ähnlichkeit zu vervollkommnen.
    Wir benutzen das Wort »Mimikry« hier, nicht weil wir meinen, daß diese Tiere bewußt andere Dinge imitieren, sondern weil die natürliche Auslese solche Individuen begünstigt hat, deren Körper mit anderen Dingen verwechselt wurden. Anders ausgedrückt: Vorfahren von Gespenstheuschrecken, die Stöcken nicht ähnlich waren, hinterließen keine Nachkommen. Der deutsch-amerikanische Genetiker Richard Goldschmidt ist der Berühmteste unter denen, die argumentiert haben, daß die frühe Evolution solcher Ähnlichkeiten nicht von der natürlichen Auslese gefördert worden sein kann. Gould, ein Bewunderer Goldschmidts, meinte im Hinblick auf Dung nachahmende Insekten: »kann irgendein Vorteil darin bestehen, zu fünf Prozent wie Dreck auszusehen?« Hauptsächlich durch Goulds Einfluß ist es neuerdings modern zu glauben, Goldschmidt sei zu seiner Lebenszeit unterschätzt worden und habe uns in Wirklichkeit viel zu lehren. Hier ein Beispiel seiner Beweisführung:
    »Ford sprich ... von jeder beliebigen Mutation, die zufällig eine >entfernte Ähnlichkeit mit einer besser geschützten Art ergibt, woraus ein Vorteil entsteht, und sei er auch noch so klein. Wir müssen fragen, wie entfernt die
    Ähnlichkeit sein darf, um einen Selektionswert zu haben. Können wir wirklich davon ausgehen, daß Vögel und Affen und auch Gottesanbeterinnen so hervorragende Beobachter sind (oder daß einige sehr schlaue unter ihnen dies sind), um eine >entfernte< Ähnlichkeit zu bemerken und sich davon abstoßen zu lassen? Ich glaube, da verlangt man zuviel.«
    Sarkasmus steht niemandem gut auf dem unsicheren Grund, den Goldschmidt hier betritt. Hervorragende Beobachter? Sehr schlaue unter ihnen? Jeder könnte denken, daß die Vögel und Affen einen Vorteil davon hätten, von der entfernten Ähnlichkeit getäuscht zu werden! Goldschmidt hätte eher sagen können: » Können wir wirklich annehmen, daß Vögel usw. so schlechte Beobachter sind (oder daß einige sehr dumme unter ihnen dies sind)?« Aber wir stehen hier tatsächlich vor einem echten Dilemma. Die anfängliche Ähnlichkeit der Vorfahren der Gespenstheuschrecke mit einem Stock muß sehr entfernt gewesen sein, und ein Vogel müßte ein außerordentlich schlechtes Sehvermögen haben, um sich davon täuschen zu lassen. Doch die Ähnlichkeit einer modernen Gespenstheuschrecke mit einem Stock ist frappierend groß, bis zu den letzten winzigen Details vorgetäuschter Knospen und Blattnarben. Die Vögel, deren selektive Futtersuche der Evolution dieser Insekten den letzten Schliff gegeben hat, mußten wenigstens gemeinsam eine hervorragend gute Sicht gehabt haben. Sie müssen außerordentlich schwer zu täuschen gewesen sein, andernfalls hätten die Insekten keine Evolution durchgemacht, um so perfekte Mimeten zu werden, wie sie es heute sind: sie wären mit relativ weniger perfekter Mimikry zufrieden gewesen. Wie können wir diesen scheinbaren Widerspruch lösen? Eine Antwort drängt sich auf: daß sich nämlich das Sehvermögen der Vögel in derselben evolutionären Zeitspanne ebenso verbessert hat wie die Tarnung der Insekten. Wollten wir eine etwas spaßige Antwort geben, so könnten wir sagen, vielleicht hätte ein Insektvorfahr, der nur zu fünf Prozent wie ein Stück Torf aussah, einen Vogelvorfahren mit nur fünf Prozent Sehvermögen getäuscht. Aber das ist nicht die Antwort, die ich geben möchte. In der Tat vermute ich, daß der ganze Evolutionsprozeß von entfernter Ähnlichkeit zu fast perfekter Mimikry hier eher schnell vor sich gegangen ist, und zwar viele Male von neuem in den verschiedenen Insektengruppen, und das während der gesamten langen Zeitspanne, in der das Sehvermögen der Vögel ungefähr so gut war wie heute.
    Eine weitere Antwort, die zur Lösung des Dilemmas vorgebracht worden ist, lautet: Vielleicht hat jede Vogel- oder Affenart ein schlechtes Sehvermögen und reagiert jeweils lediglich auf einen begrenzten Aspekt eines Insekts. Vielleicht bemerkt eine Räuberspezies nur die Farbe, eine andere nur die Form, wieder eine andere nur die Zeichnung usw. Dann wird ein Insekt, das einem Stock ähnlich sieht, nur eine Art von Räubern täuschen und nur in einem begrenzten Aspekt, auch wenn es von allen anderen Arten von Räubern gefressen wird. Mit fortschreitender Evolution werden dem Repertoire des Insekts immer mehr

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