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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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falsch zu kopieren. Unsere hypothetischen Stenotypisten sind der DNS auch dann noch hoffnungslos unterlegen, wenn wir keine natürliche Auslese annehmen. Um es mit der DNS ohne natürliche Auslese aufnehmen zu können, müßten alle Stenotypisten in der Lage sein, das ganze Neue Testament mit nur einem einzigen Fehler abzutippen. Das heißt, jeder von ihnen müßte etwa 450mal genauer sein als eine Sekretärin im wirklichen Leben. Das ist offensichtlich viel weniger als die Vergleichszahl einer halben Milliarde, d. h. der Faktor, um den das Histon-H4-Gen nach natürlicher Auslese genauer ist als eine durchschnittliche Sekretärin, aber es ist immer noch eine sehr eindrucksvolle Zahl.
    Doch ich bin den Stenotypisten gegenüber unfair gewesen. Ich habe ja angenommen, daß sie keine Fehler bemerken und sie nicht korrigieren können. Ich habe angenommen, daß keinerlei Korrektur gelesen wird. In Wirklichkeit lesen sie natürlich Korrektur. Meine Reihe von einer Milliarde Schreibern würde die ursprüngliche Botschaft daher auf nicht ganz so einfache Weise verstümmeln, wie dargestellt. Der DNS- Kopiermechanismus nimmt automatisch dieselbe Fehlerkorrektur vor. Täte er es nicht, so würde er nicht im geringsten die großartige beschriebene Genauigkeit erreichen. Das DNS- Kopierverfahren enthält mehrere »Korrekturlese«-vorgänge, die um so notwendiger sind, weil die Buchstaben des DNS- Codes keineswegs statisch sind wie in Granit eingegrabene Hieroglyphen. Im Gegenteil, die beteiligten Moleküle sind so klein - man erinnere sich an die vielen Ausgaben des Neuen Testaments, die auf einen Stecknadelkopf passen -, daß sie dem ständigen Angriff des durch Wärme hervorgerufenen gewöhnlichen Herumstoßens und -drängelns der Moleküle ausgesetzt sind. Es gibt einen ständigen Fluß, einen Umsatz von Buchstaben in der Botschaft. Ungefähr 5000 DNS-Buchstaben degenerieren pro Tag in jeder menschlichen Zelle und werden unverzüglich von Reparaturmechanismen ersetzt. Gäbe es keine Reparaturmechanismen, die pausenlos arbeiten, würde sich die Botschaft ständig auflösen. Das Korrekturlesen eines neu kopierten Textes ist einfach ein Sonderfall normaler Reparaturarbeit. Hauptsächlich dieses Korrekturlesen ist für die bemerkenswerte Genauigkeit und Treue der Informationsspeicherung der DNS verantwortlich.
    Wir haben gesehen, daß die DNS-Moleküle Zentrum einer spektakulären Informationstechnik sind. Sie sind imstande, eine gewaltige Menge an präziser, digitaler Information in einen sehr kleinen Raum hineinzupacken, und sie sind in der Lage, diese Information - mit erstaunlich wenig Fehlern, aber immerhin einigen Fehlern - während einer sehr langen Zeit, die in Millionen von Jahren gemessen wird, aufzubewahren. Wo führen uns diese Tatsachen nun aber hin? Sie führen uns in Richtung auf eine zentrale Wahrheit über das Leben auf der Erde, jene Wahrheit, auf die ich in meinem einleitenden Absatz über Weidensamen angespielt habe. Die Wahrheit nämlich, daß die lebenden Organismen zum Vorteil der DNS existieren, und nicht anders herum. Das ist bis jetzt wohl noch nicht ganz klar, aber ich hoffe, den Leser davon zu überzeugen. Die Botschaften, die die DNS-Moleküle enthalten, sind, an der Zeitskala der Lebenszeit eines Individuums gemessen, nahezu ewig. Die Lebenszeit von DNS-Botschaften (mit oder ohne einige wenige Mutationen) wird in Einheiten gemessen, die von Millionen zu Hunderten von Millionen Jahren reichen, oder, mit anderen Worten, die von 10 000 Lebenszeiten eines Individuums zu einer Billion individueller Lebensspannen reichen. Man sollte jedes einzelne Individuum als vorübergehendes Vehikel, als zeitweiligen Behälter ansehen, in dem DNS-Botschaften einen winzigen Bruchteil ihrer geologischen Lebenszeit verbringen.
    Die Welt ist voll von Dingen, die existieren ...! Darüber kann man nicht streiten, aber bringt es uns irgendwohin? Dinge bestehen entweder, weil sie erst vor kurzem zu existieren begonnen haben oder weil sie Eigenschaften besitzen, die ihre Zerstörung in der Vergangenheit unwahrscheinlich gemacht haben. Felsen entstehen nicht mit schneller Rate, aber wenn sie einmal da sind, sind sie hart und dauerhaft.
    Wären sie es nicht, so wären sie nicht Felsen, sondern Sand. In der Tat, einige von ihnen sind Sand, das ist der Grund, warum wir Strände haben! Die, die zufällig dauerhaft sind, existieren als Felsen. Tautropfen andererseits existieren nicht, weil sie dauerhaft sind, sondern weil sie gerade

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