Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
Selektion. Es müssen auf irgendeine Weise, als eine Folge der gewöhnlichen Gesetze der Physik, sich seihst kopierende Gebilde oder, wie ich sie nennen werde, Replikatoren entstehen. Im rezenten Leben wird diese Rolle fast ausschließlich von DNS-Molekülen übernommen, aber jedes Ding, das kopiert werden kann, könnte diesen Zweck erfüllen. Wir mögen argwöhnen, daß die ersten Replikatoren auf der urzeitlichen Erde keine DNS-Moleküle waren. Es ist wenig wahrscheinlich, daß ein voll ausgewachsenes DNS-Molekül ohne die Hilfe anderer Moleküle, die gewöhnlich nur in lebenden Zellen existieren, entstehen konnte. Die ersten Replikatoren waren wahrscheinlich gröber und einfacher als DNS.
Es gibt zwei andere notwendige Zutaten, die normalerweise automatisch aus der ersten Zutat, der Selbstreplikation selbst, hervorgehen. Erstens muß es gelegentliche Fehler beim Selbstkopieren geben; sogar dem DNS-System unterlaufen gelegentlich Fehler, und wahrscheinlich haben sich die ersten Replikatoren auf der Erde viel öfter geirrt. Und zweitens sollten zumindest einige der Replikatoren Macht über ihre eigene Zukunft ausüben. Diese letzte Zutat klingt unheilvoller, als sie tatsächlich ist. Sie bedeutet nichts anderes, als daß einige Merkmale der Replikatoren einen Einfluß auf die Wahrscheinlichkeit haben, repliziert zu werden. Zumindest rudimentär ist das wohl eine unvermeidliche Konsequenz der grundlegenden Tatsachen der Selbstreplikation an sich.
Jeder Replikator läßt also Kopien seiner selbst herstellen. Jede Kopie ist gleich dem Original und besitzt dieselben Eigenschaften wie das Original. Eine dieser Eigenschaften ist natürlich die Fähigkeit, mehr Kopien von sich selbst herzustellen (manchmal mit Fehlern). Daher ist jeder Replikator potentiell der »Ahnherr« einer unbegrenzt langen Linie von ihm abstammender Replikatoren, die sich in die ferne Zukunft hinein erstreckt und sich verzweigt, um potentiell eine außerordentlich große Zahl von Replikatornachkommen herzustellen. Jede neue Kopie muß aus Rohmaterialien gemacht werden, aus kleinen Bausteinen, die herumtreiben. Vermutlich fungieren die Replikatoren als irgendeine Art von Gußform oder Schablone. Kleinere Komponenten fallen so in der Gußform zusammen, daß ein Duplikat der Form entsteht. Dann bricht das Duplikat aus der Form heraus und kann nun seinerseits als Gußform fungieren. Somit haben wir eine potentiell wachsende Population von Replikatoren. Die Population wird nicht unbegrenzt anwachsen, denn irgendwann wird der Vorrat an Rohmaterialien, an den kleineren Elementen, die in die Gußform fallen, eine obere Grenze setzen.
Führen wir nun unsere zweite Zutat in die Argumentation ein. Manchmal wird das Kopieren nicht einwandfrei sein. Fehler kommen vor. Die Möglichkeit, daß Fehler eintreten, kann niemals, bei keinem Kopiervorgang, völlig ausgeschlossen werden, aber ihre Wahrscheinlichkeit kann auf ein niedriges Niveau reduziert werden. Das streben die Hersteller von Hifi-Geräten die ganze Zeit über an, und der DNS- Replikationsprozeß ist, wie gezeigt, außergewöhnlich gut in der Fehlerreduktion. Aber die moderne DNS-Replikation ist technisch hoch perfektioniert mit ausgeklügelten Korrekturlesetechniken, die im Verlauf vieler Generationen kumulativer Selektion vervollkommnet worden sind. Wie schon gesagt, waren die ersten Replikatoren im Vergleich dazu wahrscheinlich relativ grobe Mechanismen mit geringer Kopiertreue.
Kehren wir nun zu unserer Population von Replikatoren zurück und sehen uns an, welchen Effekt fehlerhaftes Kopieren hat. Anstelle einer einheitlichen Population identischer Replikatoren werden wir nun eine gemischte Population vorfinden. Wahrscheinlich werden wir feststellen, daß viele fehlerhafte Kopien die Fähigkeit der Selbstreplikation ihrer »Eltern« verloren haben. Ein paar werden die Eigenschaft der Selbstreplikation beibehalten, während sie in irgendeiner anderen Hinsicht von den Eltern verschieden sind. So werden Kopien von Fehlern in der Population weiterkopiert.
Wenn wir hier das Wort »Irrtum« oder »Fehler« lesen, müssen wir alle negativen Assoziationen aus unserem Kopf verbannen. Es bedeutet nichts anderes als einen Fehler unter dem Gesichtspunkt der Kopiertreue. Möglicherweise führt ein Fehler zu einer Verbesserung. Ich wage zu behaupten, daß eine ganze Reihe von hervorragenden Speisen entstanden sind, weil ein Koch oder eine Köchin beim Befolgen eines Rezepts einen Fehler machte. Soweit ich
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