Der Blinde von Sevilla
das Geld aufzubringen … wie sind Sie in dieser Welt gelandet?«
»Es gab Leute, die diese Adresse ebenfalls kannten«, sagte sie. »Es war bestimmt kein Zufall, dass ich noch am selben Nachmittag in einem Café ein Mädchen traf, das mir ein Angebot machte, das genauso viel Geld einbrachte, wie ich brauchte.«
»Haben Sie sie wieder gesehen?«
»Nie.«
»Und die anderen Darsteller?«, fragte er, und sie schüttelte den Kopf.
»Für das Gewerbe, in dem sie tätig waren, waren es überraschend gute und nette Menschen. Was wir getan haben, war verworfen, und eigentlich hätte die Atmosphäre am Set furchtbar sein müssen, aber wir haben ein paar Joints geraucht, und es ging alles sehr freundschaftlich zu. Sie waren menschlich und mitfühlend. Wahrscheinlich hatte ich bloß Glück. In der Gastronomie habe ich jedenfalls deutlich mehr schlechte Menschen kennen gelernt. Und der Sex … der Sex war eigentlich gar nichts. Am schwierigsten war es für die Männer, ihre Erektion zu behalten, weil alles so unaufregend … so unerotisch war.«
Falcón wand sich, als eine Frage, die er nicht stellen wollte, in seinem Kopf auftauchte. Er schob sie beiseite. Das war einfach zu geschmacklos.
»Und als Sie nach Spanien zurückkamen, haben Sie Ihr Leben von Grund auf verändert?«
»Ich habe vor der Operation in einem billigen Hotel in Victoria übernachtet. Abends habe ich einen Spaziergang gemacht, um mich abzulenken und zu entspannen. Ich bin zum Hyde Park Corner, über die Piccadilly Street zum Shepherd’s Market und weiter zum Berkeley Square gelaufen. In der Albemarle Street fand ich mich plötzlich vor einer Kunstgalerie wieder, in der gerade eine Ausstellung eröffnet wurde. Ich habe die kommenden und gehenden Leute beobachtet. Sie waren wunderschön gekleidet, elegant und absolut weltgewandt. Keine dieser Frauen hätte sich von einem Automechaniker schwängern lassen. Damals habe ich beschlossen, dass das meine Art Menschen waren, dass ich mit ihnen zusammen sein und eine von ihnen werden wollte. Als ich nach Madrid zurückkam, habe ich hart gearbeitet, mir ein paar schicke Kleider gekauft und mich bei einem Galeristen vorgestellt, der mir erklärte, ich wäre ungeeignet, weil ich keine Ahnung von Kunst hätte. Er hat mich gedemütigt, indem er mich an seinen Bildern vorbeigeführt und mich meine Unkenntnis hat offenbaren lassen. Dann hat er mich nach den Rahmen gefragt. Rahmen? Was kümmerten mich die Rahmen? Er hat mir gesagt, ich sollte tippen lernen, und mich rausgeworfen.«
Falcón war fasziniert ob der puren Entschlossenheit in ihrem Blick. Sie hatte die Faust auf der Lehne des Sofas geballt, genau wie in dem Film.
»Dann habe ich Kunstgeschichte studiert. Nicht offiziell – das konnte ich mir nicht leisten. Ich habe in meiner Freizeit daran gearbeitet. Ich bin zu Rahmenmachern gegangen, habe mich mit Künstlern getroffen, die zwar unbekannt waren, aber wussten, wovon sie redeten. Ich habe in einem Laden für Künstlerbedarf gearbeitet. Ich lernte bekanntere Künstler kennen … und so habe ich den Job in der Galerie bekommen. Und als ich ihn dann hatte, bin ich zu dem Typ zurückgegangen, der mich abgelehnt hatte. Er hat sich nicht mehr an mich erinnert. Während wir uns unterhielten, kam Manolo Rivera herein … kennen Sie ihn?«
»Nicht persönlich.«
»Nun, er kam herein, küsste mich und sagte hola , und der Galeriebesitzer bot mir auf der Stelle einen Job an. Es war mir ein großes Vergnügen, ihn abzulehnen.«
»Wusste Ihr Mann irgendwas von alldem?«
»Das wissen nur Sie, Inspector Jefe«, sagte sie. »Intimität ist leichter mit Menschen, mit denen man sein Bett nicht teilt. Und … ich glaube, wir erkennen einander, oder nicht, Don Javier?«
Fallcón blinzelte sie an, ohne zu wissen, worauf sie hinauswollte »Wir sehen so aus, als gehörten wir dazu und wären mittendrin«, sagte sie, »aber das sind wir nicht. Wir blicken von draußen hinein, genau wie Ihr Vater.«
»Im Gegensatz zu Ihrem Mann«, sagte er, um das Thema zu wechseln.
»Raúl? Raúl war verloren«, sagte sie. »Wenn er sich das angesehen hat, während er mit dieser puta zusammen war, was sagt Ihnen das über ihn?«
»Ramírez meint, es wären Schuldgefühle.«
»Ramírez ist nicht so dumm, wie er aussieht«, sagte sie. »Bloß ein Macho.«
»Sie glauben nicht, dass Ihr Mann wusste, dass Sie das waren?«, fragte Falcón.
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich wurde ja nirgendwo namentlich erwähnt.«
»Aber er hat die
Weitere Kostenlose Bücher