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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Sie auf den Gedanken, mit dieser widerwärtigen Unterstellung in mein Büro platzen zu können …?«
    »Haben Sie einen Videorekorder?«
    »Kommen Sie mit«, sagte sie und schnappte sich ihre Handtasche.
    Sie verließen das Büro und gingen einen Flur hinunter in ein kleines Zimmer, in dem ein zweisitziges Sofa, ein Stuhl und ein Fernseher mit Videorekorder standen. Falcón streifte umständlich einen Gummihandschuh über seine verschwitzte Hand. Der Film war zur vierten Episode vorgespult. Er wollte ihnen beiden die maximale Peinlichkeit ersparen und nur die ersten Szenen abspielen, in der die vier Besucher die Wohnung betreten, und schaltete auf Pause, als sie im Türrahmen auftauchte. Sie wies verächtlich auf ihr blondes Haar. Er ließ das Video bis zu einer Nahaufnahme ihres unverwechselbaren Gesichts weiterlaufen und wollte es dann erneut anhalten, doch die Anlage reagierte nicht. Die junge Consuelo zog den Reißverschluss des Mannes auf und seinen Penis heraus, bis Señora Jiménez Falcón mit hochrotem Gesicht schroff zur Seite schubste, das Video anhielt und aus dem Rekorder riss.
    »Das ist Beweismaterial«, sagte Falcón.
    Sie schmetterte die Kassette auf den Boden und trat mit ihrem Absatz darauf. Die Plastikhülle platzte auf, und sie wollte sie wieder abschütteln, doch sie klebte an ihrem Fuß wie Hundescheiße. Also streifte sie ihren Schuh ab, riss die Kassette von dem Absatz und schleuderte sie gegen die Wand, wo sie in ihre Einzelteile zerbarst. Falcón eilte mit seinem Plastikbeutel hinzu und schaufelte die Trümmer hinein. Sie stürzte sich auf ihn, schlug kreischend auf seinen Rücken und seinen Kopf ein, und ihre Flüche waren derber als alles, was er selbst in den Drogenhöhlen der Polígono San Pablo je gehört hatte. Er drehte sich um, packte ihre Schultern und schrie sie an, bis sie sich gegen seine Schulter fallen ließ und in seinen Anzug weinte.
    Falcón platzierte sie vorsichtig auf dem Sofa, wo sie ihr Gesicht in ihrer Armbeuge verbarg. War das Getue oder echt? Langsam beruhigte sie sich, ihr Gesicht wirkte gezeichnet. Er setzte sich auf den Stuhl, um Distanz zu schaffen.
    »Ja«, sagte sie, »das war ich.«
    »Schlechte Zeiten?«
    »Ein sehr schlechter Moment«, sagte sie, indem sie die Stunden, die es gedauert haben musste, auf einen Bruchteil reduzierte.
    »Geldprobleme?«
    »Alle möglichen Probleme«, sagte sie und starrte in den Abgrund unvermeidlicher Selbstentblößung. »Die Details meiner zweiten, von meinem Liebhaber bezahlten Abtreibung habe ich Ihnen ja schon freiwillig erzählt. Dies war das Vorspiel zu meiner ersten, von mir selbst bezahlten Abtreibung. Flug nach London, Hotel und Klinik. Das war bei zwei Monaten Dauer und ohne jede Hilfe sehr viel Geld.«
    Sie schüttelte sich und schlug sich die Hand vor den Mund, als müsste sie sich übergeben. »Daran erinnert sich niemand gerne«, sagte sie. »Dass eine Schwangere so etwas tun musste, um das Geld zu verdienen, den Fötus zu töten. Es ist mir einfach total widerwärtig.«
    Diese erste Lektion der Sehschule war in der Tat eine bedeutende. Vielleicht wäre es doch gut gewesen, wenn Ramírez dabei gewesen wäre, weil das hier genau dem Profil des Mörders entsprach. Er wusste Dinge. Er fand die Scham oder das Grauen in der Vergangenheit der Menschen und zeigte es ihnen, zwang sie, es noch einmal zu durchleben.
    »Wie könnte irgendjemand davon wissen?«, fragte Falcón. »Haben Sie es irgendwem erzählt?«
    »Ich habe es aus meinem Leben herausgeschnitten. Ich kann mich selbst nicht mehr daran erinnern. Ich habe etwas getan, was ich tun musste, und als es vorbei war, habe ich es komplett verdrängt. Ich kann mich kaum noch erinnern, wen ich damals kannte. Als ich aus London zurückkam, habe ich mich drangemacht, mein ganzes Leben zu ändern.«
    »Und der Vater?«
    »Sie meinen, der Mann, der nicht der Vater geworden ist«, verbesserte sie ihn. »Er war Mechaniker in der Werkstatt, die mein Vater geleitet hat. Als ich es ihm erzählte, ist er abgehauen. Ich habe ihn nie wieder gesehen.«
    »Wie kann dann irgendjemand davon wissen?«
    »Es kann niemand wissen«, sagte sie. »Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich Bekanntschaft mit echter Einsamkeit gemacht habe. Ich habe alles alleine durchgezogen. Ich habe es nicht mal meiner Schwester erzählt.«
    »Wie sind Sie auf die Klinik in London gekommen?«
    »Mein Arzt hat mir die Adresse einer Frau in Madrid genannt, die alle weiteren Einzelheiten kannte.«
    »Und

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