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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Zorn meines Vaters erlebt.«
    »Aber was … was kann man schon über sein Werk sagen?«, fragte Ramírez.
    »Wir könnten ihn auf seine Fehler ansprechen«, sagte Falcón. »Ihm von dem Lappen mit Chloroform und seiner Entdeckung auf dem Friedhof erzählen. Ihm erklären, wie unprofessionell er vorgegangen ist.«
    Calderón nickte. Falcón zückte mit feuchten Händen sein Handy. Er hatte zwei Nachrichten. Die erste war eine SMS, die er instinktiv las, weil er so selten welche bekam.
    »Er war schneller als wir«, sagte er und reichte Calderón das Handy.
    Die Textnachricht war ein Rätsel in Reimform.

    Cuando su amor es ciego
    No arde más su fuego.
    Jamais abrirá los ojos
    Ni hablará con los locos.
    Encarnación paz yacen sus hombros
    Donde se agitan las sombras.
    Ahora ella duerme en la oscuridad
    Con su fiel amante de la celebridad.

    (Die Geliebte ist blind, ihr Feuer brennt nicht mehr. Nie wieder wird sie die Augen öffnen oder mit Verrückten reden. Ihre Schultern liegen in Frieden gebettet, dort wo die Schatten sich bewegen. Jetzt schläft sie im Dunkeln mit ihrem treuen Geliebten des Ruhmes.)

    »Sie können ihm sagen, seine Lyrik ist Scheiße. Das wird ihn ärgern«, sagte Calderón und gab Falcón das Handy zurück.
    »Er hat sie ermordet«, sagte Falcón. »Und nun sagt er uns, dass er ihre Leiche in das Mausoleum der Familie Jiménez auf dem Friedhof San Fernando gelegt hat.«
    »Rufen Sie ihn an«, sagte Calderón. »Sagen Sie es ihm.«
    Falcón rief Eloisa Gómez’ Nummer auf und wählte. Keine Antwort. Die drei Männer verließen das Gebäude, stiegen in Falcóns Wagen und fuhren am Fluss entlang zum Friedhof. Dort rannten sie die Zypressenallee zu Jesús de la Pasión hinauf, während Falcón ständig weiter Eloisas Nummer wählte. Als sie in die Nähe des Jiménez-Mausoleums kamen, hörten sie drinnen ein Handy klingeln. Falcón unterbrach die Verbindung, und das Klingeln verstummte.
    Die Tür des Mausoleums ließ sich aufstoßen, und der Geruch, der ihnen entgegenschlug, ließ darauf schließen, dass die Verwesung bereits eingesetzt hatte. Eloisa Gómez lag auf dem Rücken in dem Regal unter Raúl Jiménez’ Sarg. Das Handy war auf ihren Bauch gelegt worden, darunter ein Umschlag mit der Aufschrift: SEHSCHULE LEKTION NR. 2. Ihr Rock war hochgerutscht, sodass man ihren schwarzen Slip und einen Strumpfgürtel sehen konnte, an dem nur ein Strumpf befestigt war. Das andere Bein war nackt. Ihr Kopf lag im Dunkeln im hinteren Teil des kleinen Mausoleums. Falcón zückte eine Stablampe und leuchtete ihren Körper ab. Ihre Arme waren über der Brust gekreuzt, ihre Hände bedeckten züchtig ihre Brüste. Er erkannte ein Brandmal und einen dunklen Bluterguss an ihrem Hals. Ihr Gesicht war noch immer nach allen Regeln ihres Gewerbes geschminkt. Auf jedem Augenlid lag eine Münze, und an der Art, wie die Münzen in die Augenhöhlen gesunken waren, erkannte Falcón, dass ihre Augen fehlten. Der Anblick ließ ihn rückwärts gegen den Sarg der toten Ehefrau taumeln. Dabei ließ er die Taschenlampe fallen. Er stolperte aus dem Mausoleum und die Treppe hinunter, wo er zitternd versuchte, sich zu beruhigen.
    Ramírez rief die Einsatzzentrale der Jefatura an und forderte einen Streifenwagen und die Policía Científica an.
    »Wie sieht es da drinnen aus?«, fragte Calderón, als er Falcóns entsetztes Gesicht sah.
    »Sie ist tot«, sagte er, »und ihre Augäpfel sind entfernt worden.«
    »Joder.« Calderón war sichtlich geschockt.
    »Die Lektion Nr. 2 seiner Sehschule liegt unter dem Handy auf ihrem Bauch. Wir müssen auf den Gerichtsmediziner warten, bevor wir weitermachen können.«
    Falcón entfernte sich ein paar Schritte und atmete tief durch. Dabei musterte er das Gelände um das Mausoleum, bevor er zu Calderón zurückkehrte.
    »Wir haben doch vorhin von der Kreativität dieses Typen gesprochen«, sagte er. »Das riecht nach Improvisation. Irgendwie glaube ich nicht, dass das zu seinem ursprünglichen Plan gehörte. Damit will er uns bloß zeigen, wie clever er sein kann. Ich glaube, es ist ihm wichtig, dass wir das wissen.«
    »Aber wenn sie eine Komplizin war, muss er doch gewusst haben, dass er sich in irgendeiner Weise mit ihr beschäftigen musste«, sagte Calderón.
    »Ausgerechnet so? Ich weiß, es klingt albern, aber wissen Sie, wie schwer es ist, eine Leiche auf einen Friedhof zu kriegen? Man kann nicht einfach mit einem Toten über der Schulter hier hereinspazieren. Sehen Sie die Mauern. Die

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