Der Blinde von Sevilla
erreichen. Sie sind den Spuren nachgegangen, und Sie haben Ergebnisse erzielt – beispielsweise die Sichtung des Mörders. Am wichtigsten jedoch ist die offensichtliche Dreistigkeit des Täters und sein Hang, mit Ihnen zu kommunizieren. Wie Sie selbst gesagt haben, lässt seine Kühnheit ihn fahrlässig werden, er macht Fehler, die ihm auf der Beerdigung um ein Haar schon zum Verhängnis geworden wären. Er schickt Ihnen Dinge. Er redet mit Ihnen.«
»Schlagen Sie in Anbetracht von Consuelo Jiménez’ Reaktion auf das Pornovideo vor, dass wir sie von der Liste der dringend Tatverdächtigen streichen?«, fragte Ramírez. »Um stattdessen darauf zu warten, dass der Mörder zu uns spricht?«
»Nein, Inspector, unsere Ermittlungen konzentrieren sich weiter auf Consuelo Jiménez. Sie ist alles, was wir haben. Wir glauben, dass der Mörder seinem Opfer unbekannt war. Zurzeit gibt es zwei Personen mit einem möglichen Motiv: Joaquín López mit seiner Cinco-Bellotas-Kette, dessen Motiv allerdings sehr schwach ist; und Consuelo Jiménez, deren Motiv geradezu klassisch, ja, beinahe klischeehaft ist. Ihre von Inspector Jefe beschriebene Reaktion auf das Video lässt sie als Täterin unwahrscheinlich erscheinen, aber damit ist sie noch nicht komplett aus dem Schneider. Sie hat genug Dinge getan, die uns zu der Annahme veranlassen, dass sie zumindest skrupellos ist. Sie wirkte ziemlich angewidert von den sexuellen Vorlieben ihres Mannes und seinen geschäftlichen Heimlichkeiten. Den Verdacht, sie könnte jemanden für die grausame Tat engagiert haben, hat sie noch nicht hinreichend entkräftet. Und wenn sie den Mörder engagiert und er jetzt seine Komplizin umgebracht hat, hat sie möglicherweise eine schlechte Wahl getroffen, weil der Mann offenbar außer Kontrolle ist.«
»Meinen Sie, wir sollten versuchen, mit ihm zu kommunizieren?«, fragte Falcón.
»Und was sollen wir diesem tio sagen?«, fragte Ramírez.
»Lassen Sie uns versuchen, ein Profil von ihm zu entwickeln … jetzt«, sagte Calderón.
»Wie schon gesagt, er ist dreist und verspielt«, sagte Falcón. »Und kreativ, würde ich noch hinzufügen. Er mag Filme, den Themenkomplex Auge, Sicht und Perspektive. Er interessiert sich für unsere Art, die Dinge zu betrachten. Dafür, wie deutlich oder undeutlich wir sie erkennen – deshalb die Lektion der Sehschule.«
»Es wird weitere Lektionen geben«, mutmaßte Calderón.
»Außerdem interessiert er sich dafür, wie wir uns selbst der Welt präsentieren und wie sehr das unserem geheimen Leben und möglicherweise unserer geheimen Geschichte widerspricht.«
»Er recherchiert gründlich«, fuhr Ramírez fort, »die Filmaufnahmen der Familie Jiménez und dann die Tatsache, dass er von der Verschiebung des Umzugs bei Mudanzas Triana erfahren hat.«
»Er muss charmant sein, vielleicht gut aussehend und mit einem Verständnis für die Unglücklichen dieser Welt, wenn er in der Lage war, Eloisa Gómez als Komplizin zu gewinnen«, sagte Falcón. »Eine Frau wie sie kann Besuche von der Polizei überhaupt nicht gebrauchen, und sie muss gewusst haben, dass die kommen würden, selbst wenn er ihr erzählt hat, er wolle nur ein paar Sachen stehlen.«
»Was macht er?«, fragte Calderón. »Er hat von irgendwoher Geld. Er hat Zugang zu Kamera, Video und Computer-Ausstattung.«
»Er ist nach Madrid gefahren, um das Pornovideo aufzugeben«, sagte Ramírez. »Das würde er nicht einfach irgendwem überlassen. Also hat er Zeit.«
»Alle Besessenen haben Zeit«, sagte Falcón. »Er könnte in der Filmbranche arbeiten, was ihm Zugang zu der Ausrüstung ermöglichen würde. Und wenn er freiberuflich arbeitet, hat er auch die Zeit und das Geld.«
»Der Médico Forense meinte, er hätte durchaus chirurgisches Geschick bewiesen.«
»Es gibt viele Menschen, die geschickt mit den Händen sind«, sagte Calderón. »Sie sagten, er wäre besessen, Inspector Jefe.«
»Bei seinem zweiten Anruf hat er mir unmissverständlich erklärt, dass er eine Geschichte zu erzählen hat und sie auf seine Art erzählen würde. Ich habe Wut gespürt und vielleicht auch Verbitterung.«
»Das heißt, wir könnten ihn ärgern, indem wir uns einmischen«, sagte Calderón. »Wenn wir ihn noch wütender machen, zwingen wir ihn vielleicht zu einem Fehler.«
»Wissen Sie, was kreative Köpfe mehr als alles andere hassen?«, fragte Falcón. »Kritik von Menschen, denen ihrer Ansicht nach kein Urteil zusteht. Glauben Sie mir, ich weiß es – ich habe den
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