Der Blinde von Sevilla
erzählt?«
»Was meinen Sie, wie Juez Calderón noch vor seinem 36. Geburtstag Staatsanwalt geworden ist?«, fragte Lobo.
»Er macht einen sehr kompetenten Eindruck.«
»Das ist er auch, aber sein Vater ist außerdem noch mit Spinolas jüngster Schwester verheiratet. Sie sind miteinander verwandt.«
»Und wie ist die Information über MCA dann wieder zu Ihnen gelangt?«, fragte Falcón.
»Wir alle sind von unseren Sekretärinnen abhängig«, beantwortete Lobo die Frage indirekt.
26
Samstag, 21. April 2001, Salgados Galerie,
Calle Zaragoza, Sevilla
Die Galerie war geöffnet, aber leer. Oben saßen Ramírez und Greta und gingen eine Liste von Künstlern durch, die sie ihm am Tag zuvor gegeben hatte. Beide schreckten hoch, als Falcón den obersten Treppenabsatz erreichte, und er spürte den sanften Nachhall einer sexuellen Spannung. Er bat Greta, Ramírez kurz unter vier Augen sprechen zu dürfen.
»Wir haben sein Blut gefunden«, sagte Falcón, und Ramírez war sofort ganz Ohr.
»In Salgados Haus?«
»Auf dem Fußboden und in seinem Mund.«
»In seinem Mund?«
»Salgado hat Sergio gebissen, als der ihm die Socken zurück in den Mund gestopft hat.«
Ramírez lehnte sich lächelnd und mit ausgebreiteten Armen zurück. »Jetzt müssen wir ihn nur noch finden«, sagte er. »Aber zumindest Juez Calderón wird froh sein zu hören, dass er einen Fall hat, wenn wir ihn finden.«
»Und die Arbeit mit Greta?«
»War bisher ein Vergnügen.«
»Versuchen Sie, eine Liste sämtlicher in Sevilla oder Madrid lebender Künstler zusammenzustellen, die in ihren Werken mit Film oder Video arbeiten.«
»Madrid?«
»Er hat uns aus Madrid etwas zugeschickt. Möglicherweise hat er dort noch eine Adresse.«
»Und in welcher Altersgruppe suchen wir.«
»Bis 45, um ganz sicher zu sein … solange sie gesund und fit sind«, fügte Falcón hinzu. »Kennen Sie irgendwen bei der Sitte, der das Material auf Salgados Computer für uns durchgehen und uns eine Einschätzung darüber geben könnte, woher es stammt?«
Ramírez nickte, stolz auf sein dichtes Netzwerk aus Verpflichtungen und Gefälligkeiten. Nur zur Sicherheit gingen sie noch einmal Sergios Profil durch. Falcón verabschiedete sich, drehte sich jedoch auf dem Treppenabsatz noch einmal um.
»Wenn Greta von irgendwem auf dieser Liste weiß, dass er eine französischsprachige Ausbildung genossen oder längere Zeit in Frankreich oder Nordafrika gelebt hat, markieren Sie den Namen bitte.«
Falcón stieg über das Polizeiband, mit dem man Salgados Haus abgesperrt hatte, und trat ein. Das Haus war leer und ohne die Aktivitäten um den Tatort eines Verbrechens vollkommen leblos. Es wirkte nicht einmal traurig, sondern strahlte bloß die Sterilität einer Einrichtung mit geborgtem Geschmack aus. Im Erdgeschoss waren die Wände frisch gestrichen. Es gab keinerlei Nippes, keine Fotos, keine Unordnung. Das Design der Möbel bestand aus klaren Linien, und im Wohnzimmer hing nur ein einzelnes, beinahe farbloses Acrylgemälde. Das einzige Foto stand in der Mitte des Bücherregals im Arbeitszimmer – Francisco Falcón und Ramón Salgado, Arm in Arm und lächelnd.
Falcón ging nach oben in das Zimmer mit Zugang zu der kleinen Dachterrasse, über die Sergio mutmaßlich eingedrungen war. Felipe und Jorge hatten den Raum exakt so hinterlassen, wie sie ihn vorgefunden hatten. Selbst der Schlüssel lag noch am selben Platz auf dem Boden. Er blinzelte und rief Felipe über sein Handy an, um zu fragen, ob er den Schlüssel wirklich dort liegen gelassen hatte.
»Wir haben ihn wieder ins Schloss gesteckt, damit er nicht verloren geht«, antwortete Felipe.
»Dann … war er noch mal hier«, sagte Falcón.
»Wo war der Schlüssel denn?«
»Auf dem Boden, wo wir ihn gefunden haben«, sagte Falcón. »Warum sollte jemand an den Tatort eines Verbrechens zurückkehren, Felipe?«
»Weil er dort etwas zurückgelassen hat?«, fragte Felipe.
»Das heißt, er hat etwas verloren«, sagte Falcón und legte auf. Eine hohe Palme im Nachbargarten wiegte sich im Wind und raschelte mit den Wedeln. Falcóns Nackenhaare sträubten sich, und er lauschte angestrengt. Er war doch nicht etwa noch hier? Nein, nicht am helllichten Tag. Langsam und methodisch begann er, das Haus zu durchsuchen. Es war leer. Er kehrte in das Zimmer zurück, in dem sie Salgados Leiche gefunden hatten, blieb vor dem Schreibtisch stehen und spielte die Szene in seinem Kopf durch.
Salgado kam zu sich, als Sergio ihm die Socken
Weitere Kostenlose Bücher