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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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hatte.
    »Verloren?«, fragte Falcón. »Man verliert doch nicht den Schmuck seiner Frau.«
    »Du weißt doch, wie unser Verhältnis war«, sagte Manuela. »Er war überzeugt, dass ich nur auf Geld aus war, sodass ich jedes Mal vor ihm auf die Knie musste, wenn ich ihn um etwas gebeten habe. Und was Mutters Schmuck betrifft, habe ich ihm diesen Triumph nicht gegönnt. Soweit ich mich erinnern kann, war nichts Besonderes dabei.«
    »An was kannst du dich denn erinnern?«
    »Sie mochte Ringe und Broschen, aber keine Hals- und Armketten. Außerdem hat sie sich nie Ohrlöcher stechen lassen und hatte deswegen nur Ohrclips. Sie mochte keinen teuren Schmuck und zog bei ihrem dunklen Teint Silber vor. Ich glaube, der einzige goldene Ring, den sie hatte, war ihr Ehering«, sagte sie, als ob sie die Frage erwartet hätte. »Warum musst du das an einem Samstagnachmittag wissen, Kleiner?«
    »Ich muss mich an etwas erinnern.«
    »An was?«
    »Wenn ich das wüsste …«
    »Das war nur ein Scherz, Javier«, sagte sie. »Du solltest ruhiger werden. Du nimmst deine Arbeit zu … persönlich. Versuch, ein bisschen Abstand zu gewinnen, hijo. Paco hat mir erzählt, dass du das Mittagessen morgen vergessen hattest.«
    »Kommst du auch?«
    »Ja, und ich bringe Alejandro und seine Schwester mit.«
    Während er sich an die Details des Diätplans von Alejandros Schwester zu erinnern versuchte, legte er auf. Falcón ging in die Kammer, wo er die Tagebücher gefunden hatte, und durchwühlte sämtliche Kisten, ohne etwas zu finden. Er stieß lediglich auf eine Rolle mit fünf Leinwänden, die er nie zuvor gesehen hatte und aus der beim Entrollen ein kleines Diagramm zwischen die Kartons fiel. Er breitete die Leinwände im Atelier aus und erkannte, dass es keine Werke seines Vaters waren. Mehrere Schichten von Acrylfarbe schafften einen Leuchteffekt wie bei durch Wolken verschleiertem Mondlicht. Er rollte die Leinwände wieder zusammen.
    Mittlerweile war es dunkel geworden, und er ließ sich zu Boden sacken, als ihm klar wurde, dass er den ganzen Tag nichts gegessen und obendrein Salgados Beerdigung versäumt hatte. Sein Verhalten wurde regelrecht zwanghaft. Das Chaos im Atelier seines Vaters schien sich in seinem Kopf auszubreiten. Sein Gehirn war verheddert wie eine Angelschnur. Er rief Alicia an, erreichte jedoch nur ihren Anrufbeantworter, auf dem er keine Nachricht hinterließ.
    Er zog ein Buch aus dem Bücherregal und stellte fest, dass sich dahinter noch ein beträchtlicher Hohlraum befand. Seine Obsession kehrte zurück. Nach und nach arbeitete er alle Regale durch, bis er hinter den Kunstbänden eine Holzschatulle entdeckte, die er von der Kommode seiner Mutter her kannte. Er konnte sich sogar daran erinnern, wie er mit seinen kleinen Fingern die Edelsteine betastet hatte; für ihn war diese Schatulle wie eine Schatzkiste aus einer Abenteuergeschichte gewesen.
    Die Schachtel hatte maurische Muster auf dem Deckel und an den Seiten, aber was er auch versuchte, sie ließ sich nicht öffnen. Es gab nicht einmal ein sichtbares Schloss. Eine Stunde lang probierte er alles Mögliche, bis er schließlich ein kleines, pyramidenförmiges Stück Holz drehte und der Deckel aufsprang.
    Angesichts ihres Schmucks wurde die Erinnerung an seine Mutter mit einem Mal so lebendig, dass er sein Gesicht darin vergrub in der Hoffnung, nach all den Jahren noch den Hauch ihres Dufts zu riechen. Doch da war nichts. Das Metall fühlte sich kalt an auf seiner Haut. Er breitete die einzelnen Stücke aus. Die Ohrclips, Reben schwarz-silberner Trauben, eine mit Amethysten besetzte silberne Brosche in Form eines Krummsäbels, ein großer Achatwürfel auf einem silbernen Ring. Kein Gold, wie Manuela gesagt hatte. Sie musste mit ihrem Ehering begraben worden sein.
    Er betrachtete die Sachen und wartete, dass die heilige Erinnerung zurückkam, die er vor Salgados Galerie beinahe gehabt hätte. Doch vor sein inneres Auge trat nur die Muschel voller Ringe am Wannenrand, während seine Mutter mit ihren seifigen Fingern über seine winzigen Rippen strich.

Die Tagebücher
des Francisco Falcón
    2. Juli 1948, Tanger
    Ich spritze Ölfarben auf meine Palette, tupfe meinen Pinsel hinein und mische sie. P. liegt auf dem Diwan. Sie ist nackt. Ihre Arme ruhen auf einer rosa Nackenrolle. Sie hat die Füße an den Knöcheln gekreuzt. Durch die Schwangerschaft ist ihr Körper voller. Sie trägt eine Kette, die ich eng um ihren Hals gezogen habe (was sie nicht mag), sodass sie über

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