Der Blinde von Sevilla
ihren weichen Rücken hängt. Ich drücke die ölige Farbe auf die Leinwand, der Pinsel gleitet darüber. Ich bin nah dran. Ich bin ganz nah dran. Es nimmt Gestalt an.
17. November 1948, Tanger
P.s Bauch ist mittlerweile riesig, die Haut straff gespannt, während sich ihre Brüste mit den großen braunen Brustwarzen voneinander getrennt zu haben scheinen und schwer an ihren Seiten hängen. Sie riecht auch anders. Nach Milch. Davon wird mir übel. Ich habe seit meiner Kindheit keine Milch mehr angerührt. Bei der bloßen Erinnerung daran, wie ihr Fett meinen Mund und meine Zunge belegt und mit ihren Kuhgerüchen die Höhlen meines Kopfes füllt, muss ich würgen. P. trinkt vor dem Zubettgehen immer ein Glas warme Milch. Es beruhigt sie und hilft ihr einzuschlafen. Mit dem leeren Glas im Zimmer kann ich nicht schlafen. Ich habe seit August nicht gearbeitet.
12. Januar 1949, Tanger
Ich habe einen Sohn. Er ist 3850 Gramm schwer. Ich betrachte sein zerdrücktes rotes Gesicht und den schwarzen Schopf und bin sicher, dass man mir aus Versehen ein chinesisches Baby angedreht hat. Der Schrei des Kindes geht mir durch Mark und Bein, und der Gedanke an seine massive Gegenwart im Haus lässt mich innerlich zusammenzucken. P. möchte ihn Francisco nennen, doch ich finde, dass das bloß Verwirrung stiftet. Sie sagt, dass sie ihn von Anfang an Paco rufen will.
17. März 1949, Tanger
… ich leite jetzt R.s Bauprojekte. Ich arbeite mit dem Architekten zusammen, einem grüblerischen Galizier aus Santiago, dessen düstere Ideen ein bisschen aufgefrischt werden müssen. Ich gieße Licht in seine massiven Gebäude, und er schreckt davor zurück wie ein Vampir. Der Amerikaner, für den wir das Hotel bauen, sieht aus, als wollte er mich küssen.
20. Juni 1949, Tanger
Heute hat R. seine Kindbraut geheiratet. Gumersinda (der weitergereichte Name ihrer Großmutter) hat das Gesicht und das sanfte Wesen eines Cherubs … In ihrer Gegenwart ist R. ein anderer Mann, ruhig, höflich, aufmerksam und, das muss es wohl sein, vollkommen verliebt in seine Vorstellung von ihr. Ich schaffe es nicht, ihr auch nur einen Piepser zu entlocken. Ich martere mir das Hirn auf der Suche nach möglichen Gesprächsthemen – Puppen, Ballett, Haarbänder – und komme mir in ihrer Nähe wölfisch vor.
1. Januar 1950, Tanger
Das Hotel ist noch vor Weihnachten fertig geworden, und wir feiern das neue Jahr mit einer Ausstellung meiner abstrakten Landschaften, zu der tout Tanger gekommen ist. Schon am ersten Tag habe ich alles verkauft. C.B. hat zwei Werke gekauft und mich mit den Worten beiseite gezogen: »Das ist großartig, Francisco, wirklich großartig. Aber Sie wissen ja, wir warten immer noch.« Ich bedränge ihn, mir zu erklären, was er damit meint. »Das eigentliche Werk. Zurück zum Körper, Francisco. Die weibliche Form. Nur du kannst es.«
Heute Nachmittag habe ich eine der Kohlezeichnungen von P. hervorgekramt und ihr erzählt, was C.B. gesagt hat. Sie willigt ein, mir Modell zu stehen. Als sie sich auszieht, komme ich mir vor wie ein Freier mit einer Prostituierten und wende mich der Zeichnung zu, deren Schlichtheit nach wie vor fantastisch ist. »Pronto« , sagt P., genau wie eine Hure es vielleicht tun würde. Ich drehe mich um. Ihre Schultern und Oberarme sind schwer, ihre Brüste hängen zur Seite, und ihr Bauch ragt über den Busch ihres Schamhaars hinaus. Ihre Oberschenkel sind dick, ihre Knie haben nachgegeben. Der Ballen ihres linken Fußes ist entzündet. Das Grün ihrer Augen schwappt auf mich zu wie eine Welle aus Olivenöl. Sie blickt an mir vorbei auf die alte Zeichnung. »Das bin ich nicht mehr«, sagt sie. Ich sage ihr, dass sie sich wieder anziehen soll. Sie geht. Ich betrachte die Zeichnung und fühle mich wie ein Mann, der es bei einer Hure nicht gebracht hat. Zusammen mit den anderen packe ich die Zeichnungen weg.
20. März 1950, Tanger
R. ruft mich zu Hause an, um mir zu erzählen, dass G. einen Jungen zur Welt gebracht hat. Das Baby ist groß, und die Wehen waren lang und beschwerlich. Er ist sehr ergriffen.
17. Juni 1950, Tanger
P. ist wieder schwanger. Ich verlagere das Atelier außer Haus, um mehr Platz zu schaffen. Ich habe ein Häuschen an der Bucht gefunden, in dem das Licht von Norden einfällt und von dem aus man Richtung Spanien gucken kann. Unter einem Moskitonetz baue ich ein Einzelbett auf. Ich hänge eine Leinwand auf, aber mir kommen keine Farben in den Sinn.
20. Juli 1950, Tanger
C. stürmt,
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