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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Mal aus der Stille, und seine unheimliche Spiritualität braucht keine Übersetzung. Fünf Mal am Tag ruft er, und ich bin jedes Mal gerührt.

    1. Juli 1951, Tanger
    Bei einem der seltenen Mittagessen, an denen ich dieser Tage teilnehme, fragt P. mich, was ich mache. Ich setze zu einem langen Vortrag darüber an, wie ich den Ruf des Muezzin als abstrakte Himmelslandschaft malen will, doch sie unterbricht mich. Sie hat bösartige Gerüchte über unmoralische Machenschaften gehört. Sie bohrt nach, und ich fühle mich wie eine lebendige Auster, deren kalte, verschlossene Welt sich vor dem Eindringen der stechenden Klinge zusammenzieht. Ich bitte sie, in mein Atelier zu kommen und sich meine neuesten Arbeiten anzusehen, überzeuge sie davon, dass ich asketisch lebe. Sie glaubt mir, dass ich es ernst meine. Ich bin so ein Ungeheuer … das denkt jedenfalls Paco. Er kichert und umklammert meinen riesigen Kopf, als ich so tue, als wollte ich in seinen winzigen festen Bauch beißen. Der kleine Bursche kennt keine Angst.

    5. Juli 1951, Tanger
    Benommen wache ich an der Seite irgendeines Mohamed auf, als P. unten an die Tür klopft. Ich schicke ihn auf das Dach und lasse sie herein. Ich mache Tee. Sie bittet mich, ihr meine Arbeit zu zeigen. Ich mache Ausflüchte, weil ich nichts zu zeigen habe. Sie berührt mich auf eine Art, die mir zeigt, dass das ohnehin nicht der Grund ihres Kommens war. Nach einem ganzen Nachmittag des Liebesspiels bin ich ausgelaugt und schmutzig. Mein Zögern macht sie wütend, und sie gießt kochend heißen Pfefferminztee auf meinen nackten Fuß, sodass ich fluchend herumhüpfe, was den Jungen auf dem Dach lachen lässt. Ich hoffe, sie hat es nicht gehört. Kurz darauf geht sie.

    26. August 1951, Tanger
    Ich blicke zurück auf die Jahre, blättere durch diese Tagebücher und bin entsetzt über die Enthüllungen. Jetzt hoffe ich, dass sie nie gelesen werden. Wenn ich durch meine Arbeit irgendeine Art von Ruhm erwerbe und diese Tagebücher entdeckt werden, wie wird mein Genie dann in ihrem Licht dastehen? Diese Tagebücher sind zu Geständnissen geworden. Es sind nicht die noblen Notate eines erschöpften Meisters, sondern eher die geschmacklosen Notizen eines verworfenen Halunken. Ich glaube, ich rauche zu viel und verbringe zu wenig Zeit in anregender Gesellschaft, obwohl ich nicht weiß, wo ich die finden sollte. Paul Bowles, der erwähnte Amerikaner, hatte einen kleinen Erfolg mit einem Buch, das zu lesen ich mir nicht die Mühe gemacht habe. Ich versuche, ihn zu finden, aber er ist immer weg. Ich gehe in Dean’s Bar, doch sie ist voller Betrunkener und Gauner, von denen keiner auch nur den Hauch einer Idee hat. Die übrigen Gäste sind Touristen, die mit anderen Dingen beschäftigt sind. Es ist mir nicht gelungen, meine Kontakte aus B.H.s Welt zu pflegen. C.B. ist nicht hier. Ich habe das Leben in der feinen Gesellschaft völlig aufgegeben.
    Ich höre von C.B. dass er zwei meiner Werke an eine reiche Frau aus Texas verkauft hat. Der Scheck ist auf eine beträchtliche Summe ausgestellt, erklärt er mir, doch ich hatte gehofft, einen Platz im MOMA zu bekommen. Er versucht, mich zu trösten, indem er mir erzählt, dass Picasso ihm einmal erklärt habe: »Museen sind ein Haufen Lügen.« Aber das sagt sich leicht, wenn man in den besten Museen jedes Landes der westlichen Welt hängt.

    17. Oktober 1951, Tanger
    R. berichtet mir, dass G. erneut schwanger ist. Nach der Erfahrung beim letzten Mal ist er sowohl glücklich als auch erschreckt. Es erstaunt mich, wie dieses Monument der Skrupellosigkeit weich werden kann wie ein Teig. Die Erinnerung an ihr Leiden lässt ihn zittern. Als ich P. von der Schwangerschaft erzähle, sieht sie mich sehnsüchtig an, und ich begreife, warum sie im Juli in mein Atelier gekommen ist.

    8. Februar 1952, Tanger
    R. hat alle unsere Boote an diverse Konkurrenten verkauft, die einen Spitzenpreis bezahlt haben. Er hat die Lagerhäuser geleert und an dieselben Leute vermietet, die auch die Boote gekauft haben. Ich bin überrascht, doch er versichert mir, dass das Schmuggelgeschäft seinen Zenit überschritten hat und es in Kürze Verhandlungen zwischen den USA und Spanien geben wird. Die Amerikaner wollen Stützpunkte gegen die vermutete sowjetische Gefahr errichten. Franco wird es ihnen gestatten, weil er an der Macht bleiben will. Es wird zu Handelsbeziehungen kommen.

    20. April 1952, Tanger
    G. hat ihre Wehen bekommen, und es war viel schlimmer als beim letzten Mal.

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