Der Blinde von Sevilla
gleichen Methoden angewandt wie im Krieg … Terror. Und das hat erst aufgehört, als er sich aufs Malen konzentrierte.«
»Glaubst du, das Malen hat ihm geholfen?«
»Ich glaube, er hat viel Gewalt in seine Gemälde gelegt. Er ist berühmt wegen seiner Falcón-Akte, aber ein Großteil seines abstrakten Werks ist inspiriert von Leere, Gewalt, Dunkelheit, Dekadenz und Perversion.«
»Perversion?«
»Die Lektüre dieser Tagebücher ist wie eine kriminalistische Ermittlung«, sagte Falcón. »Alles kommt nach und nach an die Oberfläche. Das geheime Leben. Die Gesellschaft – und auch wir – haben nur das Akzeptable gesehen, doch ich glaube, er hat sich nie ganz von dieser Brutalität befreit. Sie hat sich nur anders Luft gemacht. Weißt du noch, wie er, wenn er eins seiner Bilder verkauft hat, immer direkt nach oben gegangen ist, um das gleiche Bild, das er gerade verkauft hatte, noch einmal zu malen? Ich glaube, das war eine Art Brutalität. Er musste immer der sein, der zuletzt lacht.«
»Bei dir hört sich das an, als ob er kein besonders netter Mensch gewesen wäre.«
»Nett? Wer ist heutzutage schon nett ? Wir alle sind kompliziert und schwierig«, sagte Falcón. »Papá hatte bloß einige sehr spezielle Schwierigkeiten entwickelt – in einer brutalen Zeit.«
»Erzählt er irgendwo, warum er zur Legion gegangen ist?«
»Es ist das Einzige, worüber er nicht schreibt. Er bezeichnet es immer nur als ›den Zwischenfall‹. Und in Anbetracht der Tatsache, dass er offen über alles andere redet, muss es furchtbar gewesen sein. Etwas, was sein Leben verändert und was er nie bewältigt hat.«
»Er war fast noch ein Kind«, sagte Paco. »Was zum Teufel kann einem passieren, wenn man 16 ist?«
»Genug.«
Es klingelte.
»Das ist Pepe«, sagte Falcón.
Pepe Leal war gertenschlank und groß. Er stand in aufrechter Haltung auf der Straße, den Kopf gehoben wie in ständiger Erwartung. Er wirkte stets ernst und trug immer Jackett und Krawatte. Falcón erinnerte sich nicht, ihn je in Jeans gesehen zu haben. Pepe sah aus wie ein Junge, der von einer Privatschule heimkehrte, nicht wie jemand, der eine Arena mit einem 500-Kilo-Stier betreten sollte, um ihn mit Eleganz und Anmut zu töten.
Die beiden Männer umarmten sich, Falcón legte den Arm um Pepes Schulter und führte ihn ins Esszimmer. Dort umarmte auch Paco den jungen Mann. Sie setzten sich an einem Ende des Tisches zusammen, und wieder fiel auf, wie sehr sich der Torero von anderen jungen Männern unterschied. Das lag nicht daran, dass er in perfekter körperlicher Verfassung war, nur Wasser trank und stets ein Stück vom Tisch abrückte. Der Unterschied lag darin begründet, dass er ein Mann war, der sich der Angst stellte und sie überwand – immer wieder aufs Neue. Jedes Mal wenn, er die plaza betrat, um sein Leben zu riskieren, musste er diese Furcht aufs Neue überwinden.
Falcón hatte ihn in den Stunden vor einer Corrida aschfahl und zitternd in seinem Hotelzimmer sitzen sehen, ein versteinertes menschliches Wesen, das seine Panik nicht unter Kontrolle bekam. Dann zog Pepe sich an, und die Verwandlung begann. Wenn er langsam in seinen traje de luces gekleidet wurde, die Tracht seiner Zunft, wurde auch die Angst eingedämmt.
»Du siehst fit aus, Pepe«, sagte Paco. »Wie fühlst du dich?«
»Wie üblich«, erwiderte der junge Mann beherrscht. »Und wie geht’s den Stieren?«
»Hat Javier dir von meinem retinto Biensolo erzählt?«
Pepe nickte.
»Wenn du ihn kriegst, verspreche ich dir, dass du nie wieder Däumchen drehen und auf einen Vertrag warten musst. Madrid, Sevilla und Barcelona werden dir offen stehen.«
Pepe nickte erneut, doch seine Nerven waren zu angespannt, als dass er ein Wort herausgebracht hätte. Paco gab ihm einen knappen Überblick über die anderen Stiere und zog sich, als er spürte, dass Pepe mit Falcón allein sein wollte, zur Siesta zurück. Erst dann entspannte sich Pepe ein wenig und sank zwei Millimeter tiefer in seinen Stuhl.
»Du siehst aus, als hättest du zu viel gearbeitet, Javier.«
»Ja, ich habe abgenommen.«
»Schaffst du es, vor der Corrida ins Hotel zu kommen?«
»Ich werde es natürlich versuchen. Meine Ermittlung kommt sicher für ein paar Stunden auch ohne mich aus.«
»Du bist mir immer eine Hilfe«, sagte Pepe.
»Du brauchst mich nicht mehr«, widersprach Falcón ihm.
»Doch. Es ist mir wichtig.«
»Und was macht die Angst?«
»Immer noch dasselbe. Darin bin ich beständig. Mein Level ist
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