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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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unter meinem Moskitonetz, mit Javier auf meinem Bauch. Seine Beine sind angewinkelt wie die eines kleinen Frosches, seine Zehen graben sich in meinen Bauch. Meine Hand bedeckt seinen ganzen Rücken. Er schläft und knetet hin und wieder unbewusst an meiner Brust für den Fall, dass sie doch ein wenig Milch hergibt. Wie schnell die Enttäuschung in unser Leben tritt.
    Er liegt auf der Decke, während ich arbeite. Ich erkläre ihm die Bilder, die Ideen, die Einflüsse. Er führt langsam Hände und Füße zusammen, als wollte er mich mit stummem, trägem Applaus verspotten. Ich schaue ihn an, und winzige Risse tun sich in mir auf. Sein kleiner, weicher Körper, seine großen braunen Augen, sein flaumiger Kopf, all das kommt zusammen, und ich werde aufgebrochen wie von einem Meißel zwischen meinen Rippen.

27
    Sonntag, 22. April 2001, Falcóns Haus,
    Calle Bailén, Sevilla

    Als Encarnacións Nichte Juanita um elf Uhr als Erste eintraf, war Falcón noch erschöpft von seinem betäubten Schlaf. Die zusätzliche Schlaftablette, die er um vier Uhr morgens genommen hatte, hatte ihn praktisch einbetoniert.
    Er duschte und zog eine graue Hose an, die so locker saß, dass er einen Gürtel suchen musste. Auch das Jackett fand keinen Halt mehr auf seinen Schultern. Das Gewicht fiel von ihm ab. Seine Wangen wirkten im Spiegel hohl, seine Augen dunkel und tief liegend. Er verwandelte sich in seine eigene Vorstellung eines Verrückten.
    In der Küche bewegte sich Juanita auf schwarzen Turnschuhen mit dicker Sohle, die bei jedem Schritt auf dem Boden quietschten. Falcón versicherte sich, dass genug Fino und Manzanilla im Kühlschrank gelagert waren, und ging dann in den Keller, um den Wein zu holen, den sie zu dem Lammbraten trinken wollten.
    Der Keller lag auf der Rückseite des Hauses unter dem Atelier. Er hatte den Raum auch als Dunkelkammer benutzt, ihn jedoch nicht mehr betreten, seit Inés das Haus verlassen hatte. Seine Entwicklungsausrüstung stand nach wie vor in der Ecke, und an der Wäscheleine, die sich durch den Raum spannte, hingen noch die Klammern zum Trocknen der Abzüge. Er vermisste den erregenden Prozess der Enthüllung, wenn auf einem leeren Blatt, das er in den Entwickler tauchte, langsam ein Gesicht auftauchte. War es das, was er im Kopf hatte? All die Bilder, die nur entwickelt werden mussten, damit seine latenten Erinnerungen Gestalt annahmen, in sein Bewusstsein vordrangen und seine Probleme lösten.
    Die Weinregale waren in zwei Abteilungen unterteilt, französisch und spanisch. Den Französischen rührte er normalerweise nie an, weil es sämtlich teure Tropfen waren, die noch sein Vater gekauft hatte. Doch heute war ihm nach Feiern zumute. Die letzten Absätze, die er in der vergangenen Nacht in den Tagebüchern gelesen hatte, hatten ihn unter Tränen einschlafen lassen, und er hatte Lust, auf die Großzügigkeit seines toten Vaters anzustoßen. Die Vertrautheit zwischen ihnen war ihm aufs Neue bestätigt worden, und er entdeckte in sich den Hauch einer Bereitschaft, seinem Vater seine Verworfenheit und Untreue zu verzeihen. Er zog einen Château Duhart-Milon, einen Château Giscours, einen Montrachet, einen Pommard und einen Clos-des-Ursules heraus, um sie auf die Anrichte im Esszimmer zu stellen. Auf dem Weg nach oben fiel ihm eine Urne auf, die er zuvor nie bemerkt hatte.
    Sie maß höchstens 15 Zentimeter, zu klein also, um menschliche Überreste zu enthalten. Er stellte die Flaschen ab, trug die Urne zum Entwicklungstisch und schaltete die Deckenlampe an. Das Gefäß war aus Terrakotta und mit einem schlichten Lehmstopfen und Wachs versiegelt und schien unversehrt. Er brach das Wachssiegel, zog den Stopfen heraus und streute ein wenig von dem gelblichen körnigen Pulver, das die Urne enthielt, auf den Tisch. Einige der größeren Brocken waren ziemlich spitz. Er bewegte sie zwischen seinen Fingern, entdeckte auch einige braune Stücke, und mit einem Mal kam ihm die ganze Mischung reichlich makaber vor, etwa wie gemahlene Knochen. Angewidert ließ er die Urne auf dem Tisch stehen.

    Paco und seine Familie kamen als Erste. Während die Frauen sich nach oben zurückzogen und die Kinder auf der Galerie Nachlaufen spielten, trug Paco einen ganzen jamón herein, den er aus Jabugo in der Sierra de Aracena mitgebracht hatte. In der Anrichte fanden sie einen Ständer und spannten den jamón ein. Paco wetzte ein langes schmales Messer und begann, hauchdünne Scheiben des dunkelroten süßen Schinkens

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