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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Papá ihr geschenkt hatte. Bei mir war es dasselbe, als ich in La Maestranza aufgespießt wurde.«
    »Was war dasselbe?«, fragte Falcón, fasziniert von den alten Erinnerungen.
    »Ich wusste, dass irgendwas passieren würde.«
    »Wie?«, fragte Pacos Schwiegervater, ein großer Skeptiker vor dem Herrn.
    »Ich wusste es einfach«, sagte Paco. »Ich wusste, dass ein bedeutender Augenblick bevorstand, und weil ich jung und hochmütig war, habe ich angenommen, es wäre ein Moment der Größe.«
    »Aber was genau wusstest du?«, hakte sein Schwiegervater nach.
    »Ich weiß nicht«, sagte Paco eifrig gestikulierend, »ein Gefühl, dass die Dinge zusammenkamen.«
    »Konvergenz«, sagte Falcón.
    »Toreros sind schon immer sehr abergläubisch gewesen«, sagte der Schwiegervater.
    »Ja. Wenn man sein Leben aufs Spiel setzt … ist alles bedeutungsvoll«, erklärte Paco. »Sterne, Planeten … der ganze Kram.«
    »Die sich über dir ausrichten?«, höhnte sein Schwiegervater.
    »Ich übertreibe«, sagte Paco. »Vielleicht war es nur eine Art siebter Sinn. Vielleicht verleihe ich dem Ereignis, das binnen Sekunden meine Jugend ruiniert hat, erst rückblickend tiefere Bedeutung.«
    »Tut mir Leid, Paco«, sagte sein Schwiegervater. »Ich wollte nichts herab…«
    »Aber deswegen wollte ich Torero werden«, fiel Paco ihm ins Wort. »Ich habe die Klarheit der Gefahr geliebt. Es war, als ob sich das Gefühl, lebendig zu sein, auf dieser Ebene konzentrierten Bewusstseins vervielfacht. Ich habe bloß die Zeichen falsch gedeutet. Niemand hätte dieses Unglück voraussagen können. Während der gesamten faena war der Stier nie nach rechts ausgewichen und dann … als ich direkt über seinen Hörnern stehe, zieht er nach rechts. Wie dem auch sei, ich hatte Glück, dass ich überlebt habe. Es ist, wie Mamá zu Manuela gesagt hat: Der Herr hat’s gegeben, und der Herr hat’s genommen. Es gibt keinen eigentlichen Grund dafür.«
    Danach löste sich die Mittagsgesellschaft auf, und Manuela brach mit ihrem Anhang auf, während Falcón und Paco es sich mit einer Flasche Brandy bequem machten. Paco war schon leicht angetrunken.
    »Vielleicht warst du zu intelligent für einen Torero«, sagte Falcón.
    »In der Schule war ich immer eine Niete.«
    »Dann hast du vielleicht zu viel nachgedacht, um ein guter Torero zu sein.«
    »Nie«, sagte Paco. »Das Denken kam hinterher. Als mein Bein ruiniert war, musste ich meine Gedanken neu ordnen. All die Berichte und Filmaufnahmen von meinen glorreichen Momenten, die es nie gegeben hatte und nie mehr geben würde, mussten in den Müll. Danach war ich vollkommen leer. Ich hatte Albträume, und alle dachten, ich würde den schrecklichen Augenblick noch einmal durchleben – aber der lag für mich in der Vergangenheit. Meine Albträume handelten von der Zukunft.«
    Paco goss sich weiteren Brandy ein und schob die Flasche zu Javier hinüber, der den Kopf schüttelte. Auch die Zigarre, die ihm Paco über den Tisch hinweg zurollte, lehnte Javier ab.
    »Immer noch ganz der Kontrollierte«, sagte Paco.
    »Glaubst du das wirklich?«, fragte Falcón und hätte beinahe laut losgelacht.
    »Oh ja, nichts dringt zu dir durch und stört deine innere Ruhe. Nicht wie bei mir. Ich war vollkommen durcheinander. Mein Bein in Fetzen und keine Zukunft. Papá hat mich gerettet. Er hat mich auf der Finca eingerichtet und mir meine erste Herde gekauft. Er hat mir den Kopf zurechtgerückt … mir eine Richtung gewiesen.«
    »Nun, er war Soldat. Er wusste, wie Männer funktionieren«, meinte Falcón und war sich bewusst, dass er die Tatsachen für Paco stets ein wenig zugunsten seines Vaters verdrehte.
    »Liest du immer noch diese Tagebücher?«
    »Fast jeden Abend.«
    »Verändert das die Art, wie du über ihn denkst, in irgendeiner Weise?«
    »Nun, in seinem Schreiben ist er vollkommen und erschreckend ehrlich. Dafür bewundere ich ihn, aber seine Enthüllungen …«, sagte Falcón kopfschüttelnd.
    »Aus seiner Zeit bei der Legion?«, fragte Paco. »Die Legionäre waren die härtesten Männer überhaupt, das weißt du doch.«
    »Während des Bürgerkriegs und in Russland während des Zweiten Weltkriegs war er an ziemlich brutalen Aktionen beteiligt. Und ein Teil der Brutalität, die er in diesen Kriegen erlebt hat, blieb ihm, als er nach Tanger ging.«
    »Wir haben nie etwas davon mitbekommen«, sagte Paco.
    »Bei manchen seiner geschäftlichen Transaktionen war er ziemlich skrupellos«, erklärte Falcón. »Er hat die

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