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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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die Treppe hinauf zu ihren Plätzen; unter der Präsidentenloge saß eine Reihe junger Frauen mit traditionellen weißen Spitzenmantillen; Jungen liefen zwischen den Rängen auf und ab und verkauften Bier und Cola.
    Hinter drei makellos gestriegelten Apfelschimmeln mit hohem Gang, die an ihrem Zaumzeug zerrten, führten die Toreros in ihren trajes de luces die Mannschaften in die Arena. Pepe Leal hatte sich wieder gefasst und stand in seiner königsblauen und goldenen Tracht strahlend und mit der ernsten Miene eines Mannes da, der gekommen war, seine Arbeit zu tun.
    Zunächst verließen die Pferde die Arena, dann die unter ihren roten Quasten nickenden Maultiere, die den toten Stier aus der plaza schleifen würden. Die drei Toreros führten mit ihren rosafarbenen capas geübt elegante Finten vor, und die Spannung unter den Zuschauern wuchs. Dann gingen die Toreros hinter ihre Barrieren und ließen Pepe Leal zurück, der sich mit seiner capa allein auf der plaza dem ersten Stier stellen sollte.
    Das Tor in die Dunkelheit ging auf. Schweigen. Eine einzelne Stimme rief etwas Aufmunterndes, und dann platzte der eine halbe Tonne schwere Stier in die sonnenüberflutete Arena und das Tosen der Menge. Das Tier sah sich um, rannte ein paar Meter, gab dann auf und trottete lustlos weiter. Pepe rief den Stier, worauf jener ohne jedes Interesse an der capa an ihm vorbeidonnerte und mit seinen Hörnern eine Barriere zertrümmerte. Pepe lockte ihn zurück und vollführte zwei media verónicas mit seiner capa , worauf die Menschenmenge zum ersten Mal ihr Schweigen für ihn brach.
    Eine Trompete kündigte den Einzug der Picadores mit ihren Lanzen an, die auf Pferden mit Scheuklappen und Flankenpolstern in die Arena trabten. Pepe lockte den Stier zu einem der Pferde, und dessen Picador beugte sich über seine Lanze und trieb ihre Spitze in die muskulöse Flanke des Stieres. Das Pferd stellte sich auf die Hinterbeine, und die Menge jubelte, weil der Stier sich stark und kampfbereit zeigte.
    Die Picadores verließen den Ring wieder, und Pepes Mannschaftskollegen reihten sich auf und platzierten ihre banderillas gekonnt in den Nacken des Stieres. Pepe machte sich zu seiner faena bereit, und Paco und Javier beugten sich vor, um den letzten Akt zu verfolgen.
    Die Nervosität und das Desinteresse an der capa , die der Stier schon zu Beginn des Kampfes gezeigt hatte, wurden im Laufe der faena noch offensichtlicher. Pepe brauchte die halbe faena , bis der Stier überhaupt auf die muleta reagierte. Als es endlich so weit war, spielte die Kapelle einen langsamen paso doble. Pepe tötete den Stier mit Eleganz. Paco und Javier fanden, dass Pepe in Anbetracht des desinteressierten Stieres eine überzeugende Vorstellung abgeliefert hatte. Das Publikum applaudierte, doch ohne weiße Taschentücher zu schwenken oder nach einem Ohr des Tieres zu verlangen.
    Auch Pepín Lirias erster Stier fühlte sich im Ring sichtlich unwohl; und während bei Vicente Bejarano der Stier mitspielte, zeigte hier der Torero eine enttäuschende Vorstellung.
    Um 18.40 Uhr schien nach wie vor die Sonne auf die erwartungsvolle Menge in der Sol, als sich das Tor zur plaza öffnete und Biensolo hinaustrottete. Pepe ging auf ihn zu und legte ihm seine capa zu Füßen. Daran nahm der Stier Anstoß und stürmte, den Kopf gesenkt, schnell und direkt auf Pepe zu. Von diesem Augenblick an wusste die Menge, dass dies der Stier des Tages war. Wenn Pepe ihn in den Griff bekam, würden sie eine einzigartige Vorstellung sehen.
    »Den Stier hätte Pepín kriegen sollen«, sagte Pacos Nachbar.
    »Passen Sie gut auf«, sagte Javier. »Wenn dies zu Ende ist, werden Sie mit uns anderen weinen.«
    Pepe führte mit der capa zwei komplette verónicas und eine chicuelina vor. Die Masse wurde vor Spannung fast hysterisch. Torero und Picador wechselten ein paar Worte, und als Biensolo mit solch enormer Wucht die gepolsterte Flanke des Pferdes rammte, dass sowohl Ross als auch Reiter durch die Luft Richtung Absperrung geschleudert wurden, brach ein ohrenbetäubender Jubel aus. Die Zuschauer liebten diesen Stier.
    Paco fasste Javier im Nacken und drückte seinem Bruder einen Kuss auf die Stirn.
    »Eso es un toro, no?«
    Beim Setzen der banderillas übertraf sich einer von Pepes Banderilleros selbst. Die Hornspitzen waren beinahe in den Achselhöhlen des Mannes, als er sich über den heranstürzenden Stier beugte und Mensch und Tier für einen eingefrorenen Moment lang eins zu werden schienen, bevor

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