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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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seiner Mutter getragen. Deswegen war er auch zurückgekommen – um Falcón vorzuenthalten, was dieser nun wusste; dass die Tagebücher der Schlüssel waren. Der Mörder hatte sich irgendwie Zugang zum Haus seines Vaters verschafft, die Tagebücher gelesen, den entscheidenden Band gestohlen und seinen Rachefeldzug begonnen. Doch wie war er in den Besitz eines Ringes gekommen, den seine Mutter nie abgenommen hatte? Unbequeme Wahrheiten sickerten in seinen Verstand – zusammen mit der Erinnerung, am Strand der Bucht von Tanger hoch in die Luft gehoben zu werden und mit strampelnden Beinen über einem Gesicht zu schweben, das ihm nicht wieder einfallen wollte.
    Um zwei Uhr war er in Sevilla. Comisario Lobo hatte eine wütende Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen: Comisario Leóns Lakai Ramírez hatte Consuelo Jiménez offiziell von der Liste der Verdächtigen gestrichen, sobald er Falcóns Ermittlung übernommen hatte. Falcón war es egal. Er ging direkt ins Atelier seines Vaters. Die Schmuckschatulle stand noch offen auf dem Tisch, wo er sie zurückgelassen hatte. Er ballte die Faust um den Achatwürfel, als könnte sein Abdruck ihn durch die verschlossene Pforte seiner Erinnerung führen. Dann begann er, auf und ab zu laufen und trat frustriert gegen einen Stapel Zeitschriften, die vor seine Füße rutschten.
    Eines der Magazine hatte ein vollkommen schwarzes Titelblatt und trug den englischen Titel Bound. Er schlug es mit dem Fuß auf und wich zurück. Die beiden Fotos, die er sah, waren Visionen der Hölle – zwei Frauen mit verbundenen Augen wurden von stark tätowierten Männern gefoltert. Er kickte die Zeitschriften beiseite.
    Hatte es seinen Vater dorthin getrieben? Hatte der Verlust seines Genies ihn derart polarisiert, dass er sich, nachdem er das Erhabene gezeichnet hatte und es ihm wieder entglitten war, jetzt zu den hässlichsten aller Bilder hingezogen fühlte … um was zu tun? Um seinen Geist durch Schocktherapie zur Größe zurückzuführen oder sich in der philosophischen Hoffnung zu vergraben, dass Schönheit nur existieren kann, wenn es auch Hässlichkeit gibt? Falcón konnte es gar nicht erwarten, diese abstoßenden Bilder aus dem Haus zu schaffen, und als er erneut gegen den Stapel trat, sah er, dass es ausschließlich Pornos waren – Hardcore, bestialisch und unvorstellbar pervers.
    Auf dem Tisch lag die Rolle mit den fünf Leinwänden, von denen er keine erkannte. Er entrollte sie erneut und hängte sie mit Stecknadeln an die Wand. Er bemerkte, dass die Leinwände zwar alt, die Farbe aber Acryl war, mit dem sein Vater erst Ende der 70er Jahre zu malen begonnen hatte. Außerdem war er sich sicher, dass es keine Werke seines Vaters waren; er wünschte, Salgado würde noch leben und könnte ihm etwas über die Bilder erzählen.
    Dann fiel ihm der Kopist wieder ein. Der Halbzigeuner, der irgendwo in der Alameda wohnte. Der Mann, den er nicht gemocht hatte, der, nur mit einer Unterhose bekleidet und seine Geschlechtsteile kratzend, mit seinem Vater geredet hatte. Wie war noch sein Name? Kein richtiger Name, ein Spitzname. Als er seinen Vater zu der Werkstatt des Kopisten begleitet hatte, hatten alle Gemälde auf der Staffelei auf dem Kopf gestanden. Er kopierte verkehrt herum. El Zurdo – das war es. Der Linkshänder. Um den Pinselstrich eines Rechtshänders zu imitieren, malte er die Bilder auf dem Kopf stehend. In dem alten Adressbuch seines Vaters fand Falcón unter »Z« die Adresse des Kopisten, jedoch keine Telefonnummer.
    Vor dem Hotel Colón nahm er ein Taxi und fuhr zur Calle Parras in der Nähe der Alameda. In El Zurdos Wohnung machte niemand auf, aber ein Nachbar erklärte Falcón, dass er zum Mittagessen in sein Stammlokal gegangen war, eine Kneipe namens La Cubista in der Calle Escuderos.
    In der Kneipe aßen sechs Männer jeweils allein an einem Tisch und starrten dabei ins Fernsehen. Falcón erkannte keinen von ihnen.
    »Ich hab mich schon gefragt, wie lange es dauern würde«, sagte eine Stimme, als er zum Tresen ging.
    Das Besteckgeklapper verstummte, die Seifenoper im Fernsehen lief weiter. Der dunkelhäutige Mann mit dem Pferdegebiss, der ihn angesprochen hatte, stand auf. Seine grauen Haare waren gerade noch sichtbar unter dem schwarzen Hut, an dessen Band allerlei Sticker und Plaketten befestigt waren. Der Mann war von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet.
    »Sie müssen Javier Falcón sein«, sagte er.
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Weil Sie gerade mit einer Rolle

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