Der Blinde von Sevilla
Leinwände unter dem Arm hier hereinspaziert sind und ausgesehen haben wie ein Kind, das seine Eltern verloren hat.«
»El Zurdo?«
Der Mann wies auf den Stuhl ihm gegenüber.
»Haben Sie schon gegessen?«
»Sie haben sich gefragt, wie lange es dauern würde …?«
»Bis Javier kommt und mich findet«, sagte er und drehte sich zu einer Tafel um. »Also, cordero en salsa, escaopinas de cerdo oder atún en salsa ?«
»Cordero« , sagte Falcón.
El Zurdo rief die Bestellung quer durch den Raum, und Falcón lehnte die Leinwände an den Nachbartisch. Jemand stellte ein Glas Rotwein vor ihn hin.
»Wir sind uns nur einmal begegnet.«
»Ich habe einen Blick für Gesichter«, sagte El Zurdo. »Sie mochten mich nicht, das weiß ich noch.«
»Wir haben doch gar nicht miteinander geredet.«
»Sie wollten mir nicht mal die Hand geben.«
»Sie hatten sich gerade damit gekratzt.«
El Zurdo lachte. Eine Frau stellte einen Teller mit Lammeintopf vor Falcón ab.
»Was haben Sie da?«, fragte El Zurdo und wies mit dem Kopf auf die Leinwände.
»Fünf Gemälde. Ich erkenne sie nicht. Sie stammen nicht von meinem Vater. Ich wollte wissen, ob Sie sie kopiert haben.«
El Zurdo schob seinen leeren Teller weg und nahm einen Zahnstocher aus dem Glas auf dem Tisch. Falcón fing an zu essen.
»Warum wollen Sie etwas über diese Bilder wissen?«, fragte El Zurdo. »Sie sind Polizist, oder? Ihr Vater hat es mir erzählt.«
»Ich bin nicht im Dienst, falls Sie das meinen«, sagte Falcón. »Ich habe Urlaub.«
»Wollen Sie sie verkaufen?«
»Ich will wissen, was sie sind, bevor ich sie verbrenne.«
El Zurdo zündete sich eine Zigarette an, schob zwei Tische zusammen, entrollte die Leinwände und blätterte sie abschätzig durch.
»Das sind meine Arbeiten«, sagte er. »Es sind Kopien, die ich für Ihren Vater angefertigt habe, aber die Bilder sind nicht von ihm. Er hat mich gebeten, ihm einen Gefallen zu tun und für einen Schweizer Maler Kopien von Gemälden zu machen, die jener gerade an Salgados Galerie verkauft hatte, ohne dafür Steuern bezahlen zu wollen. Eigentlich hätte der Schweizer die Kopien mitnehmen sollen, um dem Zoll zu beweisen, dass er sie nicht verkauft hatte. Ich weiß also nicht, warum sie sich noch im Atelier Ihres Vaters befinden.«
»Hat mein Vater Ihnen die Leinwände gegeben?«
»Ja. Sie waren alt und schon einmal bemalt gewesen. Er hat sie überstrichen.«
»Waren es eigene Werke?«
»Ich habe ihn nicht gefragt.«
El Zurdo rauchte weiter. Falcón aß sein Essen.
»Wollen Sie wissen, was darunter ist?«
»Ich glaube ja.«
»Sie klingen ja nicht besonders überzeugt.«
»Man denkt immer, man will etwas wissen, bis man herausfindet, was es ist.«
Ein Taxi brachte sie zum Bellas Artes Institut, wo sie den Innenhof überquerten und in den ersten Stock stiegen. Für 15000 Peseten ließ ein Freund El Zurdos die Leinwände durch einen Computertomographen laufen und gab ihnen fünf Ausdrucke der darunter liegenden Originalgemälde. Sie sahen nach nichts aus: eine Ansammlung von Kreuzschraffierungen, schwarzer Nebel auf weißem Untergrund und nur gelegentlich ein erkennbares Detail wie ein Auge, ein Bein, ein Huf oder der Schwanz eines Tieres.
Auch El Zurdo wusste sie nicht zu deuten. Auf der Treppe vor dem Gebäude verabschiedeten sie sich, und El Zurdo bedeutete Falcón, dass er ihn um die Mittagszeit immer im La Cubista antreffen würde, wenn er noch einmal mit ihm reden wolle. Falcón ging nach Hause, legte die Leinwände und Ausdrucke beiseite, rief Alicia an und verabredete für den Abend einen Termin.
»Man hat mich von der Leitung der Ermittlung entbunden«, sagte er, nachdem Alicia sein Handgelenk gefasst hatte. »In zehn Tagen soll ich wieder zum Dienst erscheinen und mich als Erstes einer psychologischen Untersuchung unterziehen.«
»Das überrascht mich nicht«, sagte sie. »Ihr Verhalten wurde wahrscheinlich zunehmend seltsam.«
»Die Geschichte mit Inés und dem Juez de Instrucción hat den Ausschlag gegeben. Sie hat gedacht, ich verfolge sie, aber ich bin ihr nur zufällig auf der Straße begegnet, so wie sie zufällig in meinen Gedanken auftaucht.«
»Das haben Sie mir alles schon erzählt.«
»Wirklich?«, fragte er. »Für einen Verrückten dehnen sich ein paar Tage zu Äonen. Ich lebe mein Leben wieder und wieder, bis ich auf eine Erinnerungslücke stoße; ich hämmere bis zur Erschöpfung mit den Fäusten gegen eine Tür und mache dann kehrt, um denselben Abschnitt noch
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