Der Blinde von Sevilla
er kauft sich Zeit, indem er weiter in das marokkanische Projekt investiert. Es kostet ihn tausende von Dollar, doch er ist bereit, diesen Preis zu bezahlen. P. hat G. besucht und berichtet, dass sie absolut transportunfähig ist, von einer Seereise über die winterliche Straße von Gibraltar ganz zu schweigen.
14. Dezember 1958, Tanger
Der Druck, unter dem R. stand, ist zu groß geworden. Seine Gesundheit hat gelitten, und er lag mit einer Lungenentzündung flach. Ich erkläre ihm, dass er die Stadt verlassen soll, sobald er wieder gesund ist, was er gestern zusammen mit der sechsjährigen Marta (die nach ihrer schweren Geburt ein wenig einfältig ist) getan hat. R. hat alles Mögliche versucht. Er hat ganz Tanger bestochen. Ich weiß nicht, wie endlos seine Ressourcen sind, aber sie müssen beträchtlich sein, wenn er seine Investition bei den Marokkanern auf 40000 Dollar erhöhen konnte. Er hat ihnen irgendeinen Vorwand für seine Reise nach Spanien genannt und versichert, dass sie von einem Ehrenmann nichts zu befürchten hätten. Ich wünschte, ich wüsste mehr über diese Leute, aber R. lässt mich nicht mal in ihre Nähe. Ich habe keine Ahnung, ob es Schurken sind, die eine Möglichkeit erkannt haben, einen erpressbaren Europäer zu melken, oder Traditionalisten, die irgendeinem uralten Verhaltens- und Sittenkodex anhängen. R. sagt, sie würden nicht verstehen, warum er sich nicht einfach von G. scheiden lassen kann. In ihrer Kultur muss man es nur drei Mal laut erklären, und es ist erledigt.
22. Januar 1959, Tanger
G.s Fruchtblase ist geplatzt, und sie leidet unter andauernden Wehen, die P. als beinahe permanente Kontraktion beschreibt. P. ist überzeugt, dass das Baby die Geburt nicht überleben wird. Ich rufe R. in Spanien an. Er nimmt die Nachricht schweigend entgegen. Zwölf Stunden später taucht er in dem Haus auf, das an diesem Wintermorgen dunkel wie ein Grabmal daliegt. Der 50-jährige spanische Arzt und die Hebamme unternehmen alles, um das Baby herauszuholen, doch es liegt verkehrt herum und steckt außerdem noch fest. Die Atmosphäre im Haus ist von Hoffnungslosigkeit geprägt. Sie hat etwas von einer Folterkammer mit G.s Schreien, dem aufmerksamen medizinischen Personal und der schwarzen, lichtlosen Verzweiflung von uns allen. Nach 52 Stunden wird der Junge zur Welt gebracht. Er wiegt drei Kilo. G. ist so erschöpft, dass sie einfach weggleiten könnte, wenn sie zu tief einschläft. Der Arzt hält R. eine wütende Tirade, als dieser fragt, wann G. transportfähig ist. »Vielleicht wird sie dieses Haus nie mehr lebend verlassen, aber in einer Woche sollten Sie es wissen«, sagt er.
7. Februar 1959, Tanger
Mit den Taschen voller Dollar gehe ich zum Hafen hinunter. Es ist besser für G. auf der sanften See transportiert zu werden als über holprige Straßen nach Ceuta. Die Nacht ist ruhig. Die Beamten sind gefügig. Wir bringen G. in einem voll gepackten Studebaker zum Hafen und tragen sie auf die Yacht, die R. gechartert hat. Als sie gerade ablegen wollen, hält ein Polizeiwagen am Kai, es kommt zu einem Streit, in dessen Verlauf die Reiseunterlagen konfisziert werden und die Erlaubnis, den Hafen zu verlassen, zurückgezogen wird. Dann müssen wir alle zur Befragung an Land zurückkehren. Wir wollen wissen, was man uns vorwirft, und erfahren erstaunt, dass es um Betrug geht und die Firma, in die R. investiert hat. R. glaubt, das Spiel ist aus, und legt 200 Dollar auf den Tisch. Die Summe ist so gewaltig, dass ein tiefes Schweigen folgt, in dessen Verlauf die Situation auf Messers Schneide steht. Schließlich wird das Geld eingesteckt, die Unterlagen werden zurückgegeben. Die Erlaubnis, den Hafen zu verlassen, wird erneuert, und wir erhalten ein Salut.
12. Februar 1959, Tanger
Als die Legionäre, die ich R.s Haus gegenüber positioniert hatte, abziehen, taucht eine Gruppe Marokkaner mit einigen Polizisten und einem Durchsuchungsbefehl auf. Sie brechen die Tür zu R.s Haus auf und räumen es vollständig aus. Später wird ein in Arabisch geschriebener Brief in meinem Haus abgegeben, den ich nicht lesen kann. Ich bringe ihn zur spanischen Gesandtschaft, wo selbst der Übersetzer über den Inhalt erbleicht.
Ich bin Abdullah Diouri. Ich war ein Geschäftspartner Ihres Freundes, dessen Namen hinzuschreiben ich nicht über mich bringe. Wie Sie vielleicht wissen, hat er die Ehre meiner Familie aufs Tiefste beleidigt. Er hat eine meiner jungen Töchter wie eine gewöhnliche Prostituierte
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