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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Stunden, bevor die Gäste zum Dinner eintreffen werden. Später werden wir zum Boot hinuntergehen und im Hafen das Feuerwerk der Briten anschauen. Ich betrachte ihren Schatten, der größer geworden ist, weil sie Javier umarmt. Sie treten ans Fenster und blicken in den dunklen Patio und die noch tintenschwärzere Finsternis des Feigenbaums. Ich habe Tränen in den Augen, weil ich weiß, dass sie sich von ihm verabschiedet, dass sie auf dieser Party noch meine Frau sein wird und dann nicht mehr. Sie geht, und damit wird sie mich verraten. Ich sollte jetzt in mein Zimmer gehen und mein weißes Dinnerjackett anziehen.

    5. Januar 1964, Tanger
    Ich bin zermürbt vor Erschöpfung, doch ich muss mich der leeren Seite stellen, meinem alten Beichtstuhl. Denn das ist aus diesem Tagebuch geworden. Ich kotze mich aus, und der widerliche Lebensekel wird gemildert. Am Abend der Party kleidete ich mich an. Sie ging direkt ins Bad, als wollte sie sich verstecken. Dort wartete sie, bis ich gegangen war, bevor sie ihr Abendkleid anzog. Ich habe nach den Kindern gesehen. Sie kam erst nach unten, als die Gäste eintrafen. Mein Blick folgte ihr, als sie sich unter die Menschen mischte, und wenn er für einen Moment den ihren traf, sahen wir beide weg. Das Abendessen war laut und ausgelassen, doch ich kam mir vor wie ein Kind unter dem Tisch. Nach dem Essen hatten wir uns im Flur versammelt, während die Frauen ihre Mäntel anzogen, als Javier plötzlich auf dem Treppenabsatz auftauchte. M. trug ihn zurück nach oben, sein Gesicht an ihrem Hals verborgen. Dann verließ die ganze Gruppe das Haus, M. an Salgados Arm. Champagnerkorken knallten, als wir auf der Yacht eintrafen. Das Feuerwerk wurde abgebrannt. Die Gäste begannen zu gehen.
    Ich erklärte Ramón, dass ich noch mit dem Boot rauswollte, und bat ihn, es M. beizubringen. »Mir kann sie es leicht wieder ausreden«, sagte ich. »Aber für dich würde sie alles tun.« Eine Stunde später stachen wir zu dritt in See. Das Meer war glatt, und die Luft war kalt, wobei der Halbmond noch weiter zur Kühle beizutragen schien. Am Steuer stehend tranken wir Champagner, M. in ihrem Polarfuchs. Die Stille auf dem Meer war grauenhaft. Wie aus dem Nichts kam ein Wind auf, und Ramón, der betrunken war, ging unter Deck. Ich wendete das Boot Richtung Tanger.
    Schließlich sagte M.: »Ich verlasse dich … das weißt du inzwischen, oder?« Ich fragte sie, wie sie die Tagebücher gefunden hatte. Sie hat Javier überredet, ihr zu sagen, wo ich sie aufbewahre. Ihr Gesicht war ganz nah an meinem, als sie hinzufügte: »Dein Geheimnis bleibt unter uns.« Wenn ich darüber nachgedacht hätte, auch nur für einen Moment, hätte ich es nicht durchziehen können, also habe ich mit der Faust auf ihren Solarplexus geschlagen, sodass sie in meinem Arm zusammensackte. Ich versetzte ihr einen kräftigen Stoß, der sie an die Reling schleuderte, sie prallte mit dem Oberschenkel dagegen, überschlug sich, und ihre Füße segelten slapstickartig in die Dunkelheit. Man konnte den Aufschlag im Wasser nicht hören, und ich sah mich nicht um. Der Seegang nahm zu, und als wir Tanger erreichten, herrschte ein ziemlicher Sturm. Wir liefen im Hafen ein, und ich rief M. und Salgado, sie sollten an Deck kommen. Salgado tauchte mit blutunterlaufenen Augen auf. Ich erklärte ihm, er solle M. wecken, und er verschwand wieder unter Deck. Sekunden später war er zurück und erklärte, sie sei nicht in ihrer Kabine. Wir suchten wie verrückt das ganze Boot ab, bevor wir der furchtbaren Wahrheit ins Auge sahen und die Küstenwache alarmierten. Sie wurde nie gefunden. Am nächsten Tag erzählte ich Javier, was geschehen war. Es hat ihm das Herz gebrochen.

    Die Stimme fuhr fort, doch Falcón hörte sie nur noch wie aus großer Ferne, weil er selbst in jenen Augenblick zurückversetzt war, als er auf das ehemalige Arbeitszimmer seines Vaters zuging. Dorthin hat man ihn gerufen, um ihm die schreckliche Nachricht mitzuteilen, die ihn am frühen Morgen durch die dicken, weiß getünchten Wände bereits erreicht hat. Eine feuchte Finsternis erfüllte das Haus, und als er durch die Tür schlüpft und die Präsenz seines Vaters spürt, hört er nur sein eigenes Herz klopfen. Sein Vater ruft ihn, und er denkt, dass er ihn an seine Brust drücken und seinen Kopf küssen wird, doch stattdessen fasst er seinen Arm, packt und verdreht seinen Bizeps, sodass Javier sich auf die Zehenspitzen stellen muss. Der riesige Schädel seines Vaters senkt

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