Der Blinde von Sevilla
… ist man ein maricón. «
»Das sollten wir mit Juez Calderón vielleicht besser nicht im Detail erörtern.«
Calderón traf um Viertel vor sechs ein, nahm an seinem Schreibtisch Platz und kam direkt zur Sache, ganz der Juez de Instruction, der letztendlich für den Verlauf der Ermittlungen und die Präsentation der für eine Verurteilung notwendigen Beweise vor Gericht verantwortlich war.
»Was haben wir?«, fragte er.
Ramírez gähnte. Calderón zündete sich eine Zigarette an und warf Ramírez die Packung zu, der sich eine nahm. Während sie rauchten, fragte Falcón sich, wie die beiden Männer sich kennen gelernt hatten … bis ihm der Fußball wieder einfiel. Betis’ 1:4-Niederlage an dem Tag, an dem der Mörder die Aufnahmen von Raúl und seinen Söhnen gemacht hatte. Woher kam diese Leichtigkeit? Er versuchte, sich zu erinnern, ob er sie je gehabt hatte. Er musste sie gehabt und irgendwann in seiner Jugend verloren haben, als seine Arbeit zu ernst wurde oder er begonnen hatte, sie zu ernst zu nehmen.
»Wer möchte anfangen?«, fragte Calderón.
»Lassen Sie uns mit der Leiche beginnen«, sagte Falcón und gab eine kurze Zusammenfassung des Obduktionsberichtes.
»Wie wurden die Augenlider nach Ansicht des Médico Forense entfernt?«, fragte Calderón.
»Die erste Inzision wurde mit einem Skalpell vorgenommen, abgeschnitten hat er sie dann mit einer Schere. Der Médico Forense meinte, es wäre sehr gut gemacht worden.«
»Und wir gehen davon aus, dass man ihn so zwingen wollte, sich etwas im Fernsehen anzuschauen?«
»Der Schweregrad der selbst zugefügten Verletzungen legt nahe, dass der Mann sowohl entsetzt darüber war, was man ihm angetan hatte, als auch darüber, was er sich ansehen musste«, sagte Falcón.
»So weit bin ich Ihrer Meinung«, sagte Calderón und betastete unwillkürlich seine Lider. »Irgendwelche Ideen, was der Mörder ihm gezeigt haben könnte?«
Ramírez schüttelte den Kopf. In seinem harten Schädel war kein Raum für Mutmaßungen dieser Art.
»Ich glaube, jeder kennt nur seine eigenen schlimmsten Albträume, nicht die der anderen«, sagte Falcón, ohne belehrend klingen zu wollen.
»Ja, ich hasse Ratten«, sagte Calderón fröhlich.
»Meine Frau kann nicht im selben Zimmer mit einer Spinne sein«, sagte Ramírez, »… selbst wenn sie nur im Fernsehen zu sehen ist.«
Die beiden Männer lachten.
»Wir haben es mit etwas Stärkerem als einer Phobie zu tun«, sagte Falcón, in der Rolle des Schulmeisters gefangen. »Und Vermutungen helfen uns im Moment nicht weiter, wir müssen uns auf das Motiv konzentrieren.«
»Das Motiv«, wiederholte Calderón nickend. »Haben Sie mit Señora Jiménez gesprochen?«
»Sie selbst hat mir ihr Motiv für einen Mord oder Auftragsmord genannt«, sagte Falcón. »Ihre Ehe war unglücklich, sie hatte einen Liebhaber, und sie und die Kinder würden alles erben.«
»Haben Sie auch mit dem Liebhaber gesprochen?«
»Das haben wir schon deshalb, weil er etwa eine halbe Stunde vor der Ermordung von Raúl Jiménez dabei gefilmt wurde, wie er das Edificio Presidente betrat. Außerdem ist er Dozent für Biochemie an der Universität.«
»Gelegenheit und Know-how«, stellte Calderón fest.
»Außerdem Zugang zu Chloroform und Laborinstrumenten«, sagte Ramírez, und Falcón musterte ihn auf Anzeichen von Ironie oder offenkundiger Dummheit.
»Und?«, fragte Calderón, mit ausgebreiteten Händen auf die nahe liegende nächste Information wartend.
Falcón berichtete ihm die schlechte Nachricht, dass Lucena auf dem Weg zu Marciano Ruíz’ Wohnung im achten Stock war.
»Der Name kommt mir bekannt vor«, sagte Calderón. »Ist das der Regisseur?«
»Und eine stadtbekannte mariquita – eine Schwuchtel«, ergänzte Ramírez.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Calderón.
»Er hat sie beide gebumst«, sagte Ramírez. »Er hat gesagt, sie hätte er gevögelt, weil sie ihn an seine Mutter erinnert.«
»Und was soll das alles?«
»Lucena hat versucht, Inspector Ramírez zu beleidigen«, sagte Falcón.
»Werden Sie ihn vorläufig festnehmen?«, wollte Calderón wissen.
»Erstens glaube ich, dass ein solcher Mörder nicht so dumm wäre, sich von Überwachungskameras filmen zu lassen …«
»Es sei denn, er wollte besonders raffiniert und subtil vorgehen«, sagte Calderón. »In dem Familia Jiménez -Film sehen wir den Liebhaber doch zum Beispiel nie, oder? Wir sehen nur sein Haus.«
»Sie vergessen die Prostituierte, Eloisa Gómez«, sagte
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