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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Geräusche von gleich zwei vorgetäuschten Orgasmen hörte. Das Mädchen war gebannt. Die Kamera schwenkte um die Ecke, und sie sah sich vor Raúl Jiménez knien, der auf den Bildschirm starrte, während sie auf die zugezogenen Vorhänge blickte. Als sie den Kopf wendete, taumelte die Kamera zurück in die Dunkelheit.
    Das Mädchen sprang auf, stieß dabei ihren Stuhl um und begann, in dem Raum auf und ab zu laufen. Ramírez schaltete das Video aus.
    »Das ist seltsam«, sagte sie und wies mit der brennenden Zigarette auf den leeren Bildschirm.
    »Ist Ihnen etwas aufgefallen?«, fragte Falcón.
    »Ich weiß nicht, ob Sie mir das jetzt nicht nur eingeredet haben, aber ich kann mich an etwas erinnern«, sagte sie und schloss die Augen. »Es war nur eine Veränderung des Lichts, ein beweglicher Schatten. Davor hat man in meiner Branche Angst … dass die Schatten anfangen, sich zu bewegen.«
    »Wenn die Dunkelheit zu leben beginnt …«, sagte Falcón, und die Worte platzten so unbedacht aus ihm heraus, dass Ramírez und das Mädchen ihn fragend ansahen. »Aber Sie haben nicht reagiert … auf diesen beweglichen Schatten?«
    »Ich dachte, ich hätte es mir nur eingebildet, und außerdem ist er, glaube ich, ungefähr im selben Moment gekommen, und das hat mich abgelenkt.«
    »Und danach?«
    »Ich habe mich in seinem Badezimmer gewaschen und bin gegangen.«
    »Hat er die Tür hinter Ihnen abgeschlossen?«
    »Ja. Genau wie beim ersten Mal. Fünf oder sechs Drehungen. Ich habe auch gehört, wie er den Schlüssel herausgezogen hat. Dann kam der Aufzug.«
    »Wie spät war es da?«
    »Ich glaube, nicht viel später als eins. Um halb zwei war ich wieder auf der Alameda mit einem anderen Freier.«
    »Fünfzigtausend«, sagte Ramírez. »Das ist ein guter Stundenlohn.«
    »Sie müssten wohl eine ganze Ecke länger arbeiten, bis Sie so viel zusammen haben«, erwiderte sie, und sie lachten beide.
    »Wie lautet Ihre Handynummer?«, fragte Falcón, und sie lachten erneut, bis sie erkannten, dass er es ernst meinte und Eloisa die Nummer für ihn herunterratterte.
    »So«, sagte Ramírez nach wie vor gutmütig, »das war dann wohl alles … außer dass ich mir sicher bin, dass sie etwas ausgelassen hat, meinen Sie nicht auch, Inspector Jefe?«
    Falcón reagierte nicht auf Ramírez’ brutales Spiel. Das Mädchen wandte sich von ihm ab und dorthin zurück, wo sie unvermittelt eine Bedrohung erkannte.
    »Ich habe Ihnen alles erzählt, was passiert ist«, behauptete sie.
    »Bis auf das Wichtigste«, sagte Ramírez. »Sie haben uns nicht erzählt, wann Sie ihn in die Wohnung gelassen haben.«
    Es dauerte eine Weile, bis sie wohl die Bedeutung dieses scheinbar unverfänglichen Satzes begriffen hatte, worauf ihre Miene zu einer Totenmaske erstarrte.
    »Ich hab mir gleich gedacht, dass Sie einfach zu gut sind, um wahr zu sein«, erwiderte sie.
    »Ich bin nicht gut«, sagte Ramírez, »und Sie sind es auch nicht. Wissen Sie, was der Typ gemacht hat – der Typ, den Sie in die Wohnung gelassen haben? Er hat einen alten Mann zu Tode gequält. Er hat Don Rafael ein paar der grausamsten Dinge angetan, die wir in unserer Polizeilaufbahn je gesehen haben. Nein, nicht bloß eine Kugel in den Kopf oder ein Messer ins Herz, sondern langsame, brutale … Folter.«
    »Ich habe niemanden in die Wohnung gelassen.«
    »Sie haben gesagt, er hätte die Schlüssel stecken lassen«, entgegnete Falcón.
    »Ich habe niemanden in die Wohnung gelassen.«
    »Sie haben gesagt, Sie hätten etwas gesehen«, sagte Ramírez.
    »Das haben Sie mir nur eingeredet.«
    »Das Licht hat sich verändert«, sagte Ramírez.
    »Die Schatten haben sich bewegt«, sagte Falcón.
    »Ich habe niemanden reingelassen«, erwiderte sie langsam. »Es ist genau so passiert, wie ich es Ihnen erzählt habe.«
    Kurz vor 16.30 Uhr beendeten sie die Befragung. Falcón schickte Ramírez mit dem Mädchen auf die Suche nach einer Polizistin, die die Entnahme einer Schamhaarprobe bei der Policía Científica überwachen sollte. Als sie gingen, hörte er Ramírez mit ihr reden, als wäre sie eine alte Freundin, mit der er in eine cervecita unterwegs war – nur dass die Worte andere waren.
    »Nein, ich sag dir, Eloisa, ich an deiner Stelle würde den Typ fallen lassen wie einen glühenden Stein. Wenn er einen Kerl so ermorden kann, kann er dich auch umbringen, und zwar ohne irgendetwas dabei zu empfinden. Also pass auf dich auf. Wenn dir irgendwas verdächtig vorkommt, wenn du Zweifel kriegst, ruf mich

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