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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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süßen, zarten jamón ibérico de bellota.
    »Wenn es zu einem offiziellen Test kommt«, fuhr sie fort, »und man stellt die Seuche auch nur bei einem Tier fest, muss er die ganze Herde schlachten, selbst die Tiere mit einem über 120 Jahre alten Stammbaum.«
    »Dass ihn das stresst, kann ich mir vorstellen.«
    »Sein Bein ist auch wieder schlimm. Wie immer, wenn er gestresst ist. An manchen Tagen kann er kaum laufen.«
    Alejandro stellte ihnen einen Teller Käse vor die Nase, und Falcón wandte sich instinktiv ab.
    »Er mag keinen Käse«, erklärte Manuela, und der Teller wurde wieder weggenommen.
    »Dein Name ist heute bei der Arbeit aufgetaucht.«
    »Das kann ja nichts Gutes heißen.«
    »Du hast einen Hund geimpft. Es war eine Quittung.«
    »Wessen Hund?«
    »Ich hoffe für dich, dass er schon gezahlt hat.«
    »Wenn nicht, hättest du keine unterschriebene Quittung gefunden.«
    »Raúl Jiménez.«
    »Ja, ein sehr netter Weimaran. Es war ein Geschenk für seine Kinder … sie ziehen in ein neues Haus. Er sollte ihn heute abholen.«
    Manuela blinzelte und stellte ihr Bier ab. Falcón starrte sie an. Es passierte nur selten, dass ein realer Mord mit seinem Privatleben kollidierte. Normalerweise unterhielt er seine Zuhörer, wenn sie ihn fragten, gerne mit Anekdoten über seine Ermittlungen, seine eigenwillige Herangehensweise und seine Aufmerksamkeit für Details. Nie erzählte er, wie es wirklich war – immer mühsam, bisweilen sehr langweilig und durchsetzt mit Momenten des Grauens.
    »Ich mache mir Sorgen um dich, Kleiner«, sagte sie.
    »Ich bin nicht in Gefahr.«
    »Ich meine …. diese Arbeit. Sie macht irgendwas mit dir.«
    »Was?«
    »Ich weiß nicht. Man muss vermutlich gefühllos sein, um es zu überleben.«
    »Gefühllos?«, fragte er. »Ich? Ich untersuche Mordfälle. Ich ermittle die Gründe, warum es zu diesen Momenten der Abweichung kommt, warum wir mitten in diesen vernünftigen Zeiten und einem nie gekannten Grad an Zivilisation immer noch zusammenbrechen und als menschliche Wesen scheitern können. Ich schläfere keine kleinen Haustiere ein oder schlachte ganze Rinderherden.«
    »Ich wusste nicht, dass du da so empfindlich bist.«
    Sie standen so dicht beieinander, dass er trotz des Schweiß- und Parfümgeruchs in dem Lokal das Menthol ihrer Zigarette in ihrem Atem riechen konnte. So war das mit Manuela. Sie war aufreizend, anstrengend, und deshalb blieben ihre nach Aussehen und Brieftasche ausgesuchten Freunde auch nie lange. Auf Dauer hielt sie diese flirrende Weiblichkeit einfach nicht durch.
    »Hija« , sagte er, weil er keinen Streit wollte. »Ich hatte einen langen Tag.«
    »War das nicht auch einer von Inés’ Vorwürfen?«
    » Du hast das verbotene Wort gesagt, nicht ich.«
    Manuela blickte lächelnd auf und zuckte die Achseln.
    »Als du gesagt hast, dass du hoffst, ich wäre für die Impfung des Hundes des armen Mannes schon bezahlt worden, kam mir das bloß irgendwie kaltherzig vor. Aber vielleicht war das nur … dein Phlegma.«
    »Es war ein kleiner, ziemlich geschmackloser Witz«, sagte er und überraschte sich selbst, indem er die Lüge anfügte: »Ich wusste nicht, dass der Hund ein Geschenk für die Kinder war.«
    Alejandro schob sein markantes Kinn zwischen sie. Manuela lachte. Ihre Beziehung war noch relativ frisch, und sie war eifrig um das Selbstwertgefühl ihres Freundes bemüht.
    Sie redeten über los toros , das einzige gemeinsame Gesprächsthema. Manuela schwärmte von ihrem Lieblingstorero José Tomás, der im Gegensatz zu ihren üblichen Vorlieben keine große Schönheit der plaza war. Ihn bewunderte sie dafür, dass er stets ein wenig Gelassenheit in die faena , die letzte, entscheidende Phase des Stierkampfes, brachte. Er hatte es nie eilig, hielt dem Stier stets die ganze muleta und nie nur eine Ecke hin, sodass das Tier immer gefährlich nahe an ihm vorbeipreschte. Natürlich wurde er geradezu zwangsläufig getroffen, doch wenn das geschah, riss er sich jedes Mal zusammen und ging langsam wieder auf den Stier zu.
    »Ich habe ihn in Mexiko einmal im Fernsehen gesehen. Ein Stier hat ihn gestreift und sein Hosenbein aufgerissen. Das Blut strömte über seine Wade. Er wirkte blass und krank, doch er stand auf, fand sein Gleichgewicht wieder, schickte seine Männer mit einer Handbewegung weg und ging wieder auf den Stier los. Die Kamera zeigte alles: Das Blut, das an seiner Wade herabströmte, sickerte in seine Schuhe und quoll bei jedem Schritt heraus. Er manövrierte

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