Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
Vom Netzwerk:
Seite einen Knopf mit der Aufschrift ›Vergangenheitsaufbereitung‹?«
    »Du warst immer ein seltsamer Junge«, sagte sie. »Vielleicht hätte Papá dich doch Künstler werden lassen sollen.«
    »Damit wären alle Probleme gelöst gewesen, weil ich dann so pleite gewesen wäre, dass ich das Haus sofort nach seinem Tod hätte verkaufen müssen.«
    Die übrigen Freunde von Manuela und Alejandro trafen ein, und Falcón leerte sein Bier. Er entschuldigte sich vom Essen, trotz des geheuchelten Widerspruchs, der ihm entgegenschlug.
    Zuhause aß er ein paar kalte Muscheln in Tomatensoße, die Encarnación ihm hingestellt hatte, stippte die Soße mit hartem Weißbrot auf und trank ein Glas billigen Weißwein dazu. Sein Kopf schien von einem Gefühl eilender Hast erfüllt. Anfangs dachte er, dass sein Verstand nach der Anstrengung des Tages gleichsam auspendelte, bis ihm klar wurde, dass es eher ein Rückspulen war – wie bei einem Video, das im Schnelldurchlauf rückwärts lief. Inés. Scheidung. Trennung. »Du hast kein Herz.« Der Einzug in dieses Haus. Der Tod seines Vaters …
    Er hielt den Film an. Sein Schädel pochte. Er ging ins Bett, während sein Körper noch auf Hochtouren weiterarbeitete. Prallte gegen eine Mauer aus Schlaf und träumte seit langer Zeit zum ersten Mal etwas, an das er sich hinterher erinnern konnte: Er war ein Fisch, konnte nur das vorbeiströmende Wasser und ein kleines Funkeln in seinem Gesichtsfeld wahrnehmen, auf das er zuschwamm, weil sein Instinkt ihn dazu trieb. Er war schnell, so schnell, dass er nicht erkannte, was er da instinktiv verfolgte. Also schnappte er einfach danach und schwamm weiter. Bis er das Zerren, das Reißen an seinen Eingeweiden spürte, durch die Oberfläche brach …
    … und aufwachte. Er sah sich um, stellte überrascht fest, dass er im Bett lag, und er hielt sich den Bauch. Vielleicht hatte er die Muscheln nicht vertragen?

9
    Freitag, 13. April 2001, Javier Falcóns Haus,
    Calle Bailén, Sevilla

    Er stand früh auf; das flaue Gefühl in seinem Magen war verflogen. Er verbrachte eine Stunde auf seinem Hometrainer, auf dessen Computer er sich einen anstrengenden Parcours eingestellt hatte. Die Konzentration, die erforderlich war, um die Schmerzgrenze zu überwinden, half ihm, den vor ihm liegenden Tag zu planen. Für ihn würde dieser Viernes Santo garantiert kein Feiertag werden.
    Er nahm ein Taxi zur Estación de Santa Justa und trank im Bahnhofscafé einen café solo. Der AVE, der Hochgeschwindigkeitszug nach Madrid, fuhr um 9.30 Uhr. Er wartete bis neun und rief dann José Manuel Jiménez an, der sofort abnahm, als hätte er nur auf das Klingeln des Telefons gewartet.
    »Diga.«
    Falcón stellte sich erneut vor und bat ihn um ein Gespräch.
    »Ich habe Ihnen nichts zu sagen, Inspector Jefe. Nichts, was Ihnen helfen würde. Mein Vater und ich haben seit gut 30 Jahren nicht mehr miteinander geredet.«
    »Wirklich? Darüber würde ich gerne mit Ihnen sprechen, aber nicht am Telefon«, sagte er. Jiménez schwieg. »Ich kann um eins bei Ihnen und vor dem Mittagessen wieder weg sein.«
    »Das kommt mir wirklich sehr ungelegen.«
    Falcón merkte überrascht, dass er den Mann tatsächlich verzweifelt sprechen wollte – und zwar außerhalb seiner Dienstzeit. Er bedrängte ihn noch vehementer. »Ich leite die Ermittlung in einem Mordfall, Señor Jiménez. Und Mord kommt immer ungelegen.«
    »Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, Inspector Jefe.«
    »Ich muss den Hintergrund kennen.«
    »Fragen Sie seine Frau.«
    »Was weiß sie über sein Leben vor 1989?«
    »Warum müssen Sie so weit zurückgehen?«
    Das Ringen um ein Gespräch mit diesem Mann war lächerlich, was ihn nur umso entschlossener machte.
    »Ich habe eine etwas eigenartige, aber sehr erfolgreiche Methode, Señor Jiménez«, sagte er, um das Gespräch in Gang zu halten. »Was ist mit Ihrer Schwester … treffen Sie die manchmal?«
    Der Äther zischte eine Ewigkeit lang.
    »Rufen Sie mich in zehn Minuten noch einmal an«, sagte Jiménez und legte auf.
    Falcón lief im Bahnhof auf und ab und überlegte sich zehn Minuten lang eine neue Strategie. Als er die Nummer erneut wählte, hatte er eine Reihe von Fragen vorbereitet wie Patronen in einem Gürtel.
    »Ich erwarte Sie um eins«, sagte Jiménez nur und legte auf.
    Falcón kaufte eine Fahrkarte und bestieg den Zug, der ihn zur Mittagszeit in die Estación de Atocha im Zentrum von Madrid brachte. Er fuhr mit der U-Bahn bis Esperanza, nahm den Namen der

Weitere Kostenlose Bücher