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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Haltestelle, Hoffnung, als gutes Omen und ging von dort die paar Schritte bis zu Jiménez’ Wohnung.
    José Manuel Jiménez öffnete selbst die Tür. Er war kleiner als Falcón, aber kräftiger, und hielt den Kopf ständig so, als würde er sich unter einem Balken ducken oder eine schwere Last auf den Schultern tragen. Beim Sprechen zuckten seine Blicke unter buschigen, dunklen, ungestutzten Brauen hervor in alle Richtungen. Jiménez nahm Falcóns Mantel und führte ihn einen mit Parkett ausgelegten Flur hinunter. Er ging schleppend und vorgebeugt, weg von der Küche und den Stimmen seiner Familie in sein Arbeitszimmer.
    Dort überlappten sich mehrere marokkanische Teppiche auf dem Parkett. Bücherregale mit gebundenen Gesetzestexten säumten die Wände bis zu den Fenstern. Falcón nahm den von Jiménez angebotenen Kaffee an und betrachtete, als der Anwalt ihn allein ließ, die Familienfotos auf dem Glasschrank. Er erkannte Gumersinda mit ihren beiden kleinen Kindern. Von Raúl gab es kein Bild, und Jiménez’ Schwester war auf keinem der Fotos älter als zwölf. Die anderen Aufnahmen zeigten José Manuel Jiménez’ Familie im Laufe der Jahre bis hin zu zwei Fotos eines Jungen und eines Mädchens bei ihrer Examensfeier.
    Jiménez kam mit dem Kaffee zurück, Falcón nahm wieder auf seinem Stuhl Platz, Jiménez hinter dem Schreibtisch. Er faltete die Hände, und seine Arm- und Schultermuskeln schwollen unter dem grünen Jackett.
    »Ich bin zwischen einigen alten Fotos Ihres Vaters auf ein Bild meines eigenen Vaters gestoßen«, sagte Falcón, einen Quereinstieg in das Gespräch wählend.
    »Mein Vater war Restaurantbesitzer, ich bin sicher, er hatte jede Menge Bilder von seinen Gästen.«
    So viel wusste er immerhin über seinen Vater.
    »Es hing nicht zwischen den Fotos mit den Prominenten.«
    »Ist Ihr Vater prominent?«
    Es war eine Blöße, die er sich nicht hatte geben wollen, doch wie das Beispiel Consuelo Jiménez gezeigt hatte, konnte eine Enthüllung über sich selbst andere zu erstaunlichen Offenbarungen verleiten.
    »Mein Vater war der Maler Francisco Falcón, aber deswegen habe ich nicht …«
    »Dann überrascht es mich nicht, dass Sie sein Bild nicht an der Wand meines Vaters gefunden haben«, unterbrach Jiménez ihn. »Mein Vater hatte das kulturelle Bewusstsein eines Bauern, und genau das war er im Grunde auch.«
    »Mir ist aufgefallen, dass er Celtas mit abgebrochenem Filter geraucht hat.«
    »Früher hat er sogar direkt die filterlosen Celtas cortas geraucht. Immer noch besser als der getrocknete Dung während des Bürgerkrieges, meinte er.«
    »Woher stammte er denn?«
    »Seine Eltern hatten ein Stück Land in der Nähe von Almería. Sie wurden während des Bürgerkrieges getötet, das Land ging verloren. Nach ihrem Tod hat mein Vater sich herumgetrieben, mehr weiß ich nicht. Wahrscheinlich war Geld ihm deshalb immer so wichtig.«
    »Hat Ihre Mutter Ihnen nicht …?«
    »Ich bezweifle, dass sie etwas wusste. Wenn, dann hat sie es uns nicht erzählt. Aber ich glaube, sie wusste wirklich nichts über sein Leben vor ihrer Begegnung, und mein Vater hätte es meinen Großeltern garantiert nie erzählt, bevor diese ihre Zustimmung zur Hochzeit gegeben hatten.«
    »Ihre Eltern haben sich in Tanger kennen gelernt?«
    »Ja, die Familie meiner Mutter ist Anfang der 40er Jahre dorthin gegangen. Ihr Vater war Anwalt. Wie alle anderen wollte auch er dort Geld verdienen, als Spanien nach dem Bürgerkrieg in Trümmern lag. Sie war damals noch ein kleines Mädchen, acht oder so. Kurze Zeit später erschien mein Vater auf der Bildfläche … irgendwann um 1945 herum, glaube ich. Er hat sich auf den ersten Blick in sie verliebt.«
    »Da muss sie doch noch ziemlich jung gewesen sein. Vielleicht 13?«
    »Und mein Vater war 22. Es war eine seltsame Beziehung, über die ihre Eltern nicht glücklich waren. Erst als sie 17 war, haben sie ihr die Heirat erlaubt.«
    »Lag das nur am Altersunterschied?«
    »Sie war das einzige Kind ihrer Eltern«, sagte Jiménez. »Und ich vermute mal, dass sein zweifelhafter Stammbaum sie nicht gerade beeindruckt hat. Sie müssen erkannt haben, aus welchem Holz er geschnitzt war. Außerdem war er ziemlich protzig.«
    »Das heißt, er war damals schon reich?«
    »Er hat dort unten eine Menge Geld verdient und es gerne ausgegeben.«
    »Womit hat er sein Geld verdient?«
    »Wahrscheinlich mit Schmuggel. Aber womit auch immer – es war garantiert illegal. Später hat er dann mit

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