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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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den Stier in die Position für den Todesstoß und stieß sein Schwert bis zum Griff hinein. Anschließend haben sie ihn direkt ins Krankenhaus getragen. Que torero. «
    »Was ist mit deinem Vetter Pepe?«, fragte Alejandro, der die Geschichte schon zu oft gehört hatte. »Pepe Leal. Hat er bei der Feria eine Chance?«
    »Er ist nicht unser Vetter«, sagte Manuela, ihre Rolle als friedliches Weibchen für einen Moment vergessend. »Er ist der Sohn des Bruders unserer Schwägerin.«
    Alejandro zuckte die Achseln. Er wollte sich bei Falcón einschmeicheln. Er wusste, dass dieser Pepes Vertrauter war und dass er, wenn die Arbeit es erlaubte, am Morgen der corrida zur plaza gehen und die Stiere für den jungen Torero begutachten würde.
    »Dieses Jahr nicht«, sagte Falcón. »Im März in Olivenza hat er sich gut geschlagen. Man hat ihm ein Ohr jedes seiner Stiere geschenkt, und zur Feria de San Juan in Badajoz wird er wieder eingeladen. Aber man ist nach wie vor der Ansicht, dass er für die Feria de Abril noch nicht groß genug ist. Er kann also nur warten und hoffen, dass irgendwer ausfällt.«
    Der Junge tat ihm Leid. Der erst 19-jährige Pepe war ein großes Talent, doch sein Manager schaffte es irgendwie nicht, ihn bei den plazas der ersten Kategorie unterzubringen. Das hatte nichts mit seinen Fähigkeiten, sondern allein mit seinem Stil zu tun, der nicht der momentanen Mode entsprach.
    »Die Mode wird sich auch wieder ändern«, sagte Manuela, die wusste, dass Falcón sich für den Jungen verantwortlich fühlte.
    »Er denkt jetzt schon, er wäre zu alt, um noch irgendwas Großes zu erreichen«, sagte Falcón. »Er sieht El Juli, der scheinbar schon seit Jahrzehnten dabei und doch nur ein paar Jahre älter ist als er, und dann verlässt ihn der Mut.«
    Alejandro bestellte beim Barkeeper noch drei Bier, während Manuela Falcón mit hochgezogenen Augenbrauen ansah.
    »Was?«, fragte er.
    »Du«, sagte sie. »Du und Pepe.«
    »Vergiss es.«
    »Weißt du nicht mehr, was der Typ letztes Jahr in 6 Toros geschrieben hat?«
    »Das war ein Idiot.«
    »Du stehst Pepe näher als sein eigener Vater mit all seinen Geschäften in Südamerika, der sich seinen Sohn nicht mal ansieht, wenn der in Mexiko auftritt.«
    »Du bist sentimental, genau wie dieser Journalist«, sagte Falcón. »Ich helfe Pepe nur bei der Einschätzung der Stiere.«
    »Du bist auf eine Art stolz auf ihn, wie es sein Vater nicht ist.«
    »Du bist ungerecht«, sagte er und wechselte eilig das Thema: »Ich bin heute auf ein Foto von Papá gestoßen …«
    »Du musst dir eine Frau suchen, Javier«, sagte sie. »Es geht doch nicht, dass du die ganzen alten Alben durchblätterst.«
    »Es war ein Schnappschuss, den ich in Raúl Jiménez’ Arbeitszimmer gefunden habe. Er war etwa zur selben Zeit in Tanger. Papá wusste nicht, dass er fotografiert wurde.«
    »Hat er etwas Unverzeihliches getan?«
    »Das Datum auf der Rückseite war August 1958, und er hat eine Frau geküsst …«
    »Nein, sag es mir nicht … es war nicht Mama?«
    »Genau.«
    »Und das hat dich schockiert?«
    »Ja«, sagte er. »Es war Mercedes.«
    »Papá war kein Engel, Javier.«
    »War Mercedes damals nicht noch verheiratet?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Manuela und wischte die Frage mit ihrer Zigarette beiseite. »So war das damals in Tanger. Alle waren ständig total high, und jeder hat jeden gevögelt.«
    »Kannst du versuchen, dich zu erinnern? Du warst doch schon älter. Ich war noch nicht mal vier.«
    »Welche Rolle spielt das?«
    »Ich denke einfach, es wäre hilfreich.«
    »Für den Mordfall Raúl Jiménez?«
    »Nein, nein, das glaube ich nicht. Es ist persönlich. Ich möchte es einfach richtig einordnen können.«
    »Weißt du, Javier«, sagte sie, »vielleicht solltest du nicht ganz allein in diesem großen Haus wohnen.«
    »Ich habe versucht, dort mit jemandem zu leben, den wir nicht erwähnen dürfen.«
    »Das ist es ja gerade. Alte Häuser sind überfüllt, und Frauen teilen ihren Lebensraum nur ungern, es sei denn freiwillig.«
    »Mir gefällt es dort. Ich fühle mich mitten im Leben.«
    »Aber du begibst dich nie ›mitten ins Leben‹, oder? Du kennst nichts außer der Calle Bailén und der Jefatura. Und das Haus ist viel zu groß für dich.«
    »Genau wie für Papá?«
    »Du solltest dir eine Wohnung wie meine kaufen … mit Klimaanlage.«
    »Mit Klimaanlage?«, fragte Falcón. »Ja, das würde vielleicht helfen, die Luft zu reinigen. Haben die neuesten Modelle nicht auch an der

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