Der Blinde von Sevilla
Mann Leid, was vermutlich genau dessen Absicht gewesen war.
»Ich bin im Dienst.«
»An einem Samstagnachmittag?«
»Sonst wäre ich nicht hier.«
»Ach ja, ich vergaß«, sagte Salgado und betrachtete die zu beiden Seiten vorbeihastenden Trauergäste. »Du hast wahrscheinlich schon genug Arbeit damit, nur eine Liste seiner Feinde zu erstellen, von der Befragung jedes Einzelnen ganz zu schweigen.«
»Wirklich?«, fragte Falcón, der wusste, dass Salgado zu Übertreibungen neigte.
»Ein mächtiger Geschäftsmann wie er geht nicht ins Grab, ohne ein paar Leute mit sich zu ziehen.«
»Mord ist eine ziemlich massive Maßnahme.«
»Nicht für die Leute, mit denen er Geschäfte gemacht hat.«
»Und wer sind diese Leute?«
»Lass uns nicht innerhalb der Friedhofsmauern darüber reden, Javier.«
Falcón sprach kurz mit Ramírez und stieg dann in Salgados großen Mercedes. Sie fuhren zwischen den beiden Brücken am Fluss entlang über die Calle Betis, wo Salgado halb auf dem Bürgersteig parkte und dabei einen Seat einen halben Meter vorschob, um in die Lücke zu passen. Dann gingen sie über den einige Meter oberhalb des Flusses gelegenen Bürgersteig, bis Salgado stehen blieb und demonstrativ tief einatmete, obwohl die Luft an dieser Stelle nicht besonders frisch war.
»Sevilla!«, rief er – glücklich, sich in Gesellschaft zu wissen. » La puta del Moro – so hat dein Vater die Stadt immer genannt. Weißt du das noch, Javier?«
»Ich erinnere mich, Ramón«, erwiderte Falcón, bedrückt darüber, dass er sich freiwillig einer Dosis von Salgados berühmter Schleimerei ausgesetzt hatte.
»Ich vermisse ihn, Javier. Ich vermisse ihn sehr. Er hatte einen so durchdringenden Blick, weißt du. Einmal hat er zu mir gesagt: ›Es gibt zwei Gerüche, die Sevilla ausmachen, Ramón, und mein Trick – nein, mein großes offenes Geheimnis – besteht darin, dass ich nun zum Ende meines Lebens nur noch einen davon male, und darum bin ich immer gut im Geschäft.‹ Alles Koketterie natürlich. Das weiß ich. Die Stadtbilder aus Sevilla haben ihm nichts bedeutet. Sie waren sein kleines Spiel, nachdem sein Ruf gesichert war. Ich sagte: ›Jetzt kann der große Francisco Falcón also schon Gerüche malen. Wohinein tunkst du denn deinen Pinsel?‹ Und er antwortete: ›Nur in die Orangenblüte, Ramón, und nie in die Pferdescheiße.‹ Ich lachte und dachte, das Thema wäre beendet, aber nach einer langen Pause fügte er hinzu: ›Ich habe den größten Teil meines Lebens damit zugebracht, Letztere zu malen.‹ Was meinst du dazu, Javier?«
»Lass uns einen Manzanilla trinken«, sagte Falcón.
Sie überquerten die Straße, betraten La Bodega de la Albariza, stellten sich an eines der großen schwarzen Fässer und bestellten Manzanilla und einen Teller Oliven, die mit Kapern und Knoblauch eingelegt worden waren. Sie nippten an dem trockenen Sherry, den Falcón lieber trank als Fino, weil man in der Traube den Seewind von Sanlúcar de Barrameda schmecken konnte.
»Erzähl mir von Raúl Jiménez’ Feinden«, sagte Falcón, bevor sich Salgado in einem neuen Schwall von Erinnerungen ergehen konnte.
»Es passiert alles noch einmal, während wir hier sitzen und unseren Manzanilla schlürfen. Es passiert alles noch mal genauso wie damals 1992«, sagte er und berauschte sich an seinen undurchsichtigen Andeutungen und Javier Falcóns gespannter Aufmerksamkeit. »Ich spüre es. Ich bin jetzt 70 Jahre alt und verdiene mehr Geld als in meinem ganzen Leben.«
»Die Geschäfte gehen gut«, sagte Falcón, beinahe gelangweilt.
»Das ist doch ein inoffizielles Gespräch, oder?«, fragte Salgado. »Ich sollte nicht … verstehst du …«
»Es wird kein Protokoll geben«, sagte Falcón und breitete seine leeren Hände aus.
»Das Ganze ist natürlich illegal …«
»Solange es nicht kriminell ist.«
»Ah ja, eine feine Unterscheidung, Javier. Dein Vater hat stets gesagt, dass du der Intelligente bist. ›Alle denken, es wäre Manuela‹, meinte er immer, ›aber eigentlich ist Javier derjenige, der die Dinge klar sieht.‹«
»Die Spannung macht mich ganz krank, Ramón.«
»La Gran Limpeza«, sagte Salgado. Die große Wäsche.
»Was wird denn gewaschen?«
»Geld natürlich. Was wird denn sonst noch schmutzig? Es heißt schließlich nicht umsonst ›Schwarzgeld‹.«
»Und woher kommt es?«
»Die Frage stelle ich nie.«
»Drogengeld?«
»Sagen wir einfach ›unversteuert‹.«
»Okay. Und sie waschen es. Warum waschen sie
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