Der Blinde von Sevilla
Vorbereitungen hieß es, das wichtigste Gemälde sei bereits der Woolworth-Erbin und »Königin« von Tanger Barbara Hutton versprochen, die Ausstellung diene lediglich dem Zweck, Aufsehen um den Namen Francisco Falcón zu erzeugen. Was auch immer geschah, es funktionierte. Barbara Hutton kaufte das Gemälde tatsächlich, und die Ausstellung wurde von einer schillernden Phalanx der New Yorker Society besucht. Francisco Falcón war in aller Munde. Seine beiden nächsten New Yorker Ausstellungen waren ein Riesenerfolg, und Mitte der 60er Jahre war sein Name beinahe so bedeutend wie der von Picasso.
Einen Teil dieses Erfolgs hatte er dem Talent von Ramón Salgado zu verdanken, der von Anfang an die Begrenztheit des Werks seines Künstlers erkannt hatte. Tatsache war – zur großen Bitterkeit, Wut und Frustration seines Vaters –, dass es nur vier Falcón-Akte gab, alle entstanden im Laufe eines Jahres Anfang der 60er in Tanger. Als sein Vater nach Spanien umgezogen war, war diese spezielle Ader seines Genies ausgetrocknet. Nie wieder war es ihm gelungen, die einzigartige, rätselhaft verbotene Qualität jener vier abstrakten Gemälde noch einmal einzufangen. Sein Vater hatte ihm immer von Gauguin erzählt, der schon außergewöhnlich gewesen war, bevor er die Frauen der Südsee sah. Doch niemand wusste das. Erst sie hatten sein Genie neu belebt und für alle sichtbar gemacht. Ansonsten wäre er wahrscheinlich als verbitterter Anstreicher in Paris geendet. Und genau das war Francisco Falcón passiert. Seine erste und seine zweite Frau waren gestorben, und er hatte Tanger verlassen. Kritiker sagten, die Akte seien mit einer Art wissender Unschuld gemalt, die ihnen ihre unantastbare Präsenz verleihen würden, und möglicherweise hatten die traumatischen Erlebnisse jener letzten Jahre in Tanger den Fluss dieser speziellen Kreativität unterbrochen. Seine damaligen Verluste hatten ihm den Zugang zur Reinheit der Unschuld versperrt. Nie wieder hatte er auch nur versucht, einen weiteren abstrakten Akt zu malen.
Plötzlich fiel Falcón etwas auf dem Bildschirm ins Auge, ein schwarzer Fleck vor weißem Hintergrund.
»Was war das?«
Ramírez fuhr auf seinem Stuhl hoch. Auch er hatte dem verdammten Video kaum Beachtung geschenkt. Seiner Ansicht nach war das Ganze ohnehin Zeitverschwendung.
»Ich habe etwas gesehen«, sagte Falcón. »Im Hintergrund. Oben rechts. Können wir ein Stück zurückspulen?«
Mit dicken groben Fingern betätigte Ramírez die Anlage, und die Figuren rannten rückwärts, ein weiterer Druck auf einen Knopf, und sie bewegten sich gemächlicher.
Es war nach der Zeremonie im Mausoleum, die Trauergäste zerstreuten sich. Falcón konzentrierte sich auf den Hintergrund – die gezackten Dächer der Familiengrabstätten, die flachen Kanten der hohen Beinhäuser, in denen die ärmeren Toten lagen. Die Kamera schwenkte langsam von links nach rechts.
»War es da wieder?«, fragte Falcón, bei genauerem Hinsehen selbst unsicher.
»Ich hab nichts gesehen«, sagte Ramírez und unterdrückte ein Gähnen.
»Bringen Sie den jungen Typen her, damit er das Bild anhält.«
Ramírez holte den jungen Beamten, und er spielte die Sequenz Bild für Bild ab.
»Da«, sagte Falcón, »oben rechts vor dem weißen Mausoleum.«
»Joder« , sagte Ramírez. »Glauben Sie, dass er das ist?«
»Sie haben ihn ganz am Ende des Schwenks erwischt.«
»Acht Einzelbilder«, sagte der junge Polizist. »Eine Drittelsekunde. Ich weiß nicht, wie Sie das gesehen haben.«
»Ich habe es nicht bewusst gesehen«, erwiderte Falcón, »es ist mir einfach ins Auge gefallen.«
»Er filmt die Trauergäste«, sagte Ramírez.
»Er muss Sie mit der Kamera gesehen und sich hinter die Mauer des Mausoleums zurückgezogen haben«, sagte Falcón. »Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es eine Drittelsekunde unseres Mörders ist.«
Sie sahen sich das Video noch drei Mal an, ohne noch mehr zu entdecken. In der Computerabteilung fanden sie einen Fachmann, der noch Dienst hatte. Er digitalisierte die Sequenz von dem Videoband, speiste die acht Bilder in den Computer, markierte den entscheidenden Ausschnitt und vergrößerte ihn auf Bildschirmgröße. Das Bild war verzerrt, aber nicht so sehr, dass man nicht erkennen konnte, wie sorgfältig dieser Mensch auf seine Erscheinung geachtet hatte. Er trug eine schwarze Baseballkappe ohne Beschriftung, den Schirm leicht hochgeklappt, damit er die Kamera an sein Auge halten konnte. Dazu hatte er Handschuhe
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