Der Blinde von Sevilla
silberne Plakette: Arturo Manolo Jiménez Bautista. Vielleicht war das José Manuel Jiménez’ Form von »Endgültigkeit«.
Falcón mischte sich wieder unter die Trauernden, sprach Consuelo Jiménez erneut sein Beileid aus und schlenderte zum Eingang zurück. Ramírez bewegte sich mit seiner Videokamera irgendwo zwischen den Gräbern.
»Du hast ihn natürlich gekannt, oder?«, fragte eine Stimme dicht an Falcóns Ohr, während eine Hand seinen Ellbogen fasste.
Ramón Salgados trauriges Hundegesicht schob sich in sein Blickfeld. Er war einer der Menschen, für die sein Vater nur höhnischen Spott übrig gehabt hatte. Allerding nur im Verborgenen, denn Salgado war nicht nur Kunsthistoriker, sondern vor allem auch der Händler, der seinen Vater berühmt gemacht hatte. Er verfügte noch immer über eine Liste mit sehr wohlhabenden Kunden, die er bis zum ersten Herzinfarkt seines Vaters regelmäßig in die Calle Bailén geschickt hatte, damit sie dort bündelweise das nutzlose Bargeld loswerden konnten, das ihre Konten verstopfte.
»Nein, ich habe ihn nicht gekannt«, sagte Falcón mit der gewohnten Kühle, die er für den Mann empfand. »Hätte ich ihn kennen sollen?«
Falcón streckte zur Begrüßung seine Hand aus, die Salgado mit beiden Händen ergriff und schüttelte, bis Falcón sie zurückzog. Salgado fuhr sich durch sein affektiert langes Haar, das in silbrig weißen Locken über den Kragen seines dunkelblauen Anzugs fiel. »Bei Salgado glitzern sogar die Schuppen«, hatte Falcóns Vater immer gesagt.
»Nein, nein, vielleicht ist es doch eher unwahrscheinlich, wenn ich es mir recht überlege«, sagte Salgado. »Er hat euer Haus nie betreten. Genau. Jetzt erinnere ich mich. Er hat Consuelo immer alleine geschickt.«
»Sie geschickt?«
»Jedes Mal, wenn er ein neues Restaurant eröffnet hat, musste er einen Falcón dafür haben. Als Inbegriff von Sevilla.«
»Aber warum musste er sie schicken?«
»Vielleicht kannte er die Verkaufspraktiken deines Vaters und war als der überaus wichtige Geschäftsmann, der er war, nicht bereit, sich dem … ähm … doch ziemlich – wie soll ich es ausdrücken – sardonischen, ja, sardonischen … Procederé zu unterwerfen.«
Was er natürlich meinte, war die durch und durch verächtliche Wucherei, die Falcóns Vater mit unübersehbarer Lust betrieben hatte.
Sie setzten sich in Richtung des Ausgangs in Bewegung. Die rosafarbenen Ringe unter Salgados Triefaugen ließen ihn aussehen, als habe er sich gerade die Tränen abgetupft. Falcón hatte immer gedacht, dass Salgado einmal sehr viel korpulenter gewesen sein musste, und nachdem er dieses Gewicht verloren hatte, hing seine überdehnte Gesichtshaut, dem Gesetz der Schwerkraft folgend, in schlaffen Falten unter Augen und Kinn herunter. Sein Vater fand immer, der Händler sehe aus wie ein Bluthund, würde aber zumindest nicht sabbern, was beinahe ein verdecktes Kompliment gewesen war. Denn ehrfürchtige, sabbernde Bewunderung war dem Künstler immer verhasst gewesen. Akzeptiert hatte er sie nur von schönen Frauen und von Menschen, deren Talent er anerkannte.
»Woher kanntest du ihn?«
»Ich lebe, wie du weißt, in El Porvenir. Als er sein Restaurant eröffnet hat, war ich einer seiner ersten Gäste.«
»Vorher kanntest du ihn nicht?«
Sie gingen schnell, und Salgado war auf seinen langen Beinen schon immer ungelenk gewesen. Er stieß mit einem Fuß gegen Falcóns und wäre der Länge nach hingeschlagen, wenn dieser ihn nicht aufgefangen hätte.
»Mein Gott, vielen Dank, Javier. In meinem Alter möchte man nicht mehr fallen, sich womöglich die Hüfte brechen, zu Hause festsitzen und langsam verrückt werden.«
»Du machst noch einen ganz rüstigen Eindruck, Ramón.«
»Nein, nein, das ist eine große Angst von mir. Ein dummer Fehler, und ein paar Monate später bin ich ein einsamer alter Narr, der unbesucht in irgendeiner dunklen Ecke eines Altersheims vor sich hin starrt.«
»Sei doch nicht albern, Ramón.«
»Meiner Schwester ist genau das passiert. Ich fahre nächste Woche nach San Sebastián, um sie nach Madrid zu bringen. Sie ist hingefallen, hat sich den Kopf aufgeschlagen, das Knie gebrochen und ist in einem Heim gelandet. Ich kann den weiten Weg nicht jeden Monat fahren, deshalb hole ich sie näher her zu mir. Schrecklich. Wie dem auch sei, warum trinken wir nicht einen Fino zusammen?«
Falcón klopfte ihm auf die Schulter. Eigentlich wollte er keine Zeit mit Salgado verbringen, doch jetzt tat ihm der
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