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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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weiter nach Norden bis Mérida vorzustoßen. Jeder, der Widerstand leistet, ist ein Kommunist, hat man uns erklärt, und als solcher gegen Spanien, sodass wir mit äußerster Härte vorgehen und keine Gnade zeigen sollen. Angeblich scheißt sich der Gegner bei dem Gedanken an die afrikanische Armee in die Hose. Der Ruf unseres Einsatzes gegen die Bergleute in Asturien eilt uns voraus. Der Befehl samt seiner blutrünstigen Untertöne elektrisiert unsere Ränge. Aufgestachelt waren wir schon, doch jetzt sind wir auch noch unbesiegbar und gerecht.

    10. August 1936, bei Mérida
    Der Vormarsch war gnadenlos (300 km in vier Tagen), und wir haben rasch gelernt, dass die Botschaft des Terrors, den wir verbreiten, uns mit Schallgeschwindigkeit vorauseilt. Wir nennen es castigo , die Bestrafung. Wenn wir jeglichen Widerstand erstickt haben, marschieren wir mit Messern und Macheten durch die Städte und Dörfer. Der kalte Stahl verbreitet Angst, weil er nicht so unpersönlich ist wie eine Kugel.
    In El Real de la Jara sind die Leute in die Hügel geflüchtet, wo sie von den Mauren der Regulares zusammengetrieben wurden. Die haben ihnen dann derart schreckliche Dinge angetan, dass wir bis Almendralejo auf keinerlei Widerstand mehr gestoßen sind. Dort ergriff uns ein Wahn, und wir töteten alle verbliebenen Bewohner der Stadt. Hunderte von Männer- und Frauenleichen lagen auf den Straßen herum, und der Gestank wurde in der Hitze bald unerträglich, sodass wir die verwüsteten Häuser unter den Rauchwolken ihrer brennenden Dächer ohne jedes Leben zurückließen. Oscar bedrängt mich, »alles aufzuschreiben«, doch nach dem anstrengenden Tag bin ich zu müde für so etwas.

    11. August 1936, Mérida
    Die Offiziere machen Witze über die »Agrarreform«, die sie den Bauern zuteil werden lassen.
    Einer der Mauren der Regulares zeigt uns seine von Fliegen umschwirrte, stinkende Sammlung menschlicher Hoden. Bei ihnen ist die Kastration ihrer Opfer ein Schlachtritual. Das ist zu viel für Oscar, der es in einem Bericht an unseren Hauptmann erwähnt, woraufhin diese Sitte verboten wird.

    15. August 1936, Badajoz
    Die 4. Bandera hat die Puerta de la Trinidad gestürmt. Sie sind singend einmarschiert und direkt ins Maschinengewehrfeuer gelaufen, was sie für einen Moment zurückgeworfen hat. Doch im zweiten Anlauf haben sie die Tore genommen, und wir sind, über ihre Leichen stolpernd, nachgerückt. Danach war es Straßenkampf bis ins Stadtzentrum. Am Nachmittag wurden alle des Widerstands Verdächtige in der Stierkampfarena neben der Kathedrale zusammengetrieben. Es gab ein großes Schreien und Klagen, doch nach unseren Verlusten beim ersten Angriff waren wir wild. Bis zum Anbruch der Dunkelheit hallten Schüsse durch die Stadt. Die Regulares durchkämmten die Stadt, Haus für Haus, auf der Suche nach jedem, der eine Waffe oder auch nur einen Bluterguss an der Schulter vom Rückstoß eines Gewehrs hatte. Nach den Disziplinlosigkeiten in Asturien ist Oscar entschlossen, darauf zu achten, dass wir nicht die Beherrschung verlieren und uns in eine Plünderungs- und Vergewaltigungsorgie stürzen, wie es die anderen Kompanien in der Bandera und die Regulares getan haben. Die Männer murren, bis Oscar ein paar aus einer Kneipe gestohlene Kisten diverser Getränke anschleppt. Wir gießen uns aguardiente, anís und Rotwein in ein Glas und taufen den Cocktail ›Erdbeben‹.

    22. September 1936, Maqueda
    Jetzt weiß ich, was es heißt, schlachtengestählt zu sein. Vorher war es bloß ein Wort, das Veteranen im Mund führten. Jetzt weiß ich, dass es ein andauernder Geisteszustand ist. Er entsteht durch die Notwendigkeit, zahlreiche Entscheidungen unter extremem Druck zu treffen, durch die komplette Verdrängung jeder Angst, den täglichen Anblick sterbender Menschen, die Überwindung der Erschöpfung und die Akzeptanz der Unvermeidlichkeit der Schlacht.

    29. September 1936, Toledo
    Der Angriff startete am Mittag des 27. September. Vor der Attacke hat man uns ein paar Kilometer vor der Stadt an den verstümmelten Leichen von zwei hingerichteten Nationalisten vorbeimarschieren lassen. Unser Befehl lautete: »Ihr wisst, was ihr zu tun habt.« Die Kämpfe waren erbittert, und beim ersten Sturm auf die Stadt wurden die Regulares zurückgeschlagen. Doch als wir gerade an Rückzug und Neuformation dachten, ergriffen die Linken die Flucht. Es gab einige Straßenkämpfe. Die Mauren waren an jenem Nachmittag besonders bestialisch und hieben mit ihren

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